Ausgabe 04/2025
Es könnte so idyllisch sein

Kristina Hauff: Schattengrünes Tal
Ein schattengrünes Tal, ein gurgelnder Bach und ein traditionelles Hotel. Es könnte so idyllisch und friedlich sein an diesem Ort im Schwarzwald. Oberflächlich betrachtet stimmt das auch: Die Fassade glänzt. Dahinter zeigen sich jedoch tiefe Risse, als eine fremde Frau in das Hotel zieht und eine neue, gefährliche Dynamik in die Beziehungen im Dorf bringt. Etwa zwischen Lisa und ihrem Vater Carl, dem Besitzer des Hotels. Oder zwischen Lisa und ihrem Ehemann Simon, der die fremde Frau zu kennen scheint. Außerdem zwischen dem Hotelier und seiner Angestellten und Gefährtin Margret, die seit Jahren darauf hofft, die Hotelleitung übertragen zu bekommen. Daniela, die Zugezogene, schleicht sich freundlich und zugewandt in den Alltag aller Beteiligten, doch je mehr sie integriert wird, umso mehr Fragen tauchen auf: Welche Absichten oder Ziele verfolgt sie? Nutzt Daniela das ihr entgegengebrachte Vertrauen aus und manipuliert ihre Mitmenschen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen? In reduzierter Sprache und mit feinem psychologischem Gespür verbreitet Kristina Hauff hier eine subtile Spannung. Ein intensives Drama um Abhängigkeiten, Verpflichtungen und dem fatalen Einfluss der Vergangenheit.
Günter Keil
Hanserblau, 304 S., 24 €

Carla Kaspari: Das Ende ist beruhigend
Europa in einhundert Jahren: Die Menschen leiden unter der Klimakatastrophe. Alles Leben vertrocknet, Staubwolken ziehen über die nahezu unbewohnbaren Länder, die Armut nimmt drastisch zu, ganze Städte versinken im Chaos. Doch irgendwo in Italien existiert eine kleine Gemeinde, in der es sich wie in einem Paradies lebt. Unter einer riesigen Kuppel dürfen ausgewählte Kreative in einer Art Luxus-Kommune wohnen. Dort wird die Landschaft künstlich bewässert, die Temperatur künstlich geregelt und Wert auf ein gesundes, wertschätzendes Zusammenleben gelegt. Auch die Malerin Esther und die Ingenieurin Théa genießen den sorgenfreien Alltag. Wie sich jedoch herausstellt, steckt hinter dem friedlichen Dorf ein perfider Plan: Die Bewohner*innen sollen mit ihren Kunstwerken Hoffnung produzieren, und damit den Rest der Welt beruhigen, um Aufstände und Kriege zu verhindern. Zudem wird die Hoffnung als Produkt abgefüllt und teuer verkauft – ein zynisches Spiel mit der apokalyptischen Stimmung, die sich außerhalb der Kuppel breit macht. Carla Kaspari erzählt ihre Dystopie mit unheimlicher Ruhe, geradezu nüchtern. Auch deswegen wühlt die brillante Satire auf und berichtet über Manipulation, Nihilismus und Verdrängung. Günter Keil
KIEPENHEUER & WITSCH, 272 S., 22 €

Ayelet Gundar-Goshen: Ungebetene Gäste
In Gundar-Goshens Romanen vereinen sich alle Widersprüche und Konflikte Israels. Auch in ihrem neuen Werk gelingt der 43-Jährigen das Kunststück, Menschen in den Mittelpunkt zu rücken und dennoch über universelle Schuld und Moral zu schreiben. Hauptfigur ist Naomi, eine junge Israelin, die mit Mann und einjährigem Sohn in Tel Aviv lebt. Der Roman beginnt an dem Tag, als ein arabischer Handwerker in der Wohnung der Familie den Balkon neu streicht. Während seiner Kaffeepause entsteht auf der Gasse vor dem Haus ein Aufruhr; Leute schreien, denn ein Teenager ist von einem herabstürzenden Hammer erschlagen worden. Naomi wird klar, dass ihr Sohn den Hammer heruntergeworfen haben muss, doch sie sagt nichts. Kurz darauf wird der arabische Handwerker von der Polizei abgeführt und als Terrorist angeklagt. Der tragische Vorfall und das Schweigen stürzen Naomi in einen Abgrund, und auch für die arabische Familie ist nichts mehr wie zuvor. Ein mitreißendes Psychodrama über die schicksalhafte Verkettung von Umständen. Der Roman stellt indirekt die Frage, wie Menschen in Extremsituationen anständig bleiben können. Günter Keil
Kein und Aber 2025, Aus dem Hebräischen: Ruth Achlama, 306 S., 25 €