Ärmere Patient/innen bekommen seltener eine Fachärztin oder einen Facharzt zu sehen als Bessergestellte

UTA VON SCHRENK arbeitet als freie Journalistin in Berlin

Zu einem bitteren Ergebnis kommt eine von der Hans-Böckler- und der Jackstädt-Stiftung geförderte Studie: Ärmere Patient/innen sind längst nicht so gesund wie Bessergestellte, nicht zuletzt deshalb, weil sie seltener in den Genuss fachärztlicher Behandlung kommen. Diabetes tritt in der sozial benachteiligten Gruppe etwa anderthalbmal so häufig auf wie in der oberen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen 1,2 mal so oft. Doch es geht nicht nur um Krankheiten. Aus Langzeituntersuchungen weiß man, dass Arme auch früher sterben.

Wer zum einkommensschwächsten Viertel der deutschen Männer gehört, stirbt – statistisch betrachtet – rund zehn Jahre früher als jemand aus dem Kreis der reichsten 25 Prozent. Doch das soziale Gesundheitsrisiko trifft nicht nur die Älteren. Eine Million Kinder haben darunter zu leiden, dass ihre Eltern nicht so wohlhabend sind wie andere. Sie haben einen schlechteren Impfschutz, leiden vermehrt unter Infektionen, Asthma, Kopf- und Rückenschmerzen sowie Entwicklungsstörungen. Diagnose: Unterschicht. Experten und Medien skandalisieren die „Zwei-Klassen-Medizin“ in Deutschland: Kassenpatienten warten länger auf einen Termin als Privatversicherte, der Beinbruch eines Bessergestellten bringt einem Arzt mehr ein als der eines Normalbürgers. Die – überaus berechtigte – Empörung über die Ungleichbehandlung von Privat- und Kassenpatienten relativiert sich, wenn es Millionen Menschen gibt, die damit rechnen müssen, früher zu sterben, nur weil sie weniger vermögend und, damit häufig einhergehend, weniger gebildet sind.

Wer dieser real existierenden Drei-Stände-Medizin beikommen will, muss – zumindest für einen Teil der Patient/innen – die Richtung wechseln. Nicht der Patient geht zum Arzt, sondern umgekehrt. Das kann der Impfabend im Gemeindezentrum sein, die Reihenuntersuchung in der Schule oder die Betreuung von sozialen Brennpunkten durch Gemeindeschwestern. Doch gerade für solcherart öffentliche Gesundheitsfürsorge ist in den letzten Jahrzehnten immer weniger Geld bereitgestellt worden. Und das ist tödlich.