Wer pflegebedürftig ist, war früher meist auf seine Familie angewiesen. Konnte die die Pflege nicht übernehmen, musste die Sozialhilfe einspringen. Durch die Mängel dieses Systems wurden immer mehr Pflegebedürftige zu Bittsteller/innen. Seit 1995 zahlt in Deutschland die gesetzliche Pflegeversicherung in drei Pflegestufen feste Sätze an Bedürftige. Mittlerweile reicht auch dieses Geld bei immer mehr Menschen nicht mehr für die notwendige Pflege.

Hinzu kommt die wachsende Zahl der Demenzerkrankten. ver.di und der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt schätzen in ihrem im Sommer veröffentlichen Pflegememorandum, dass 2030 bis zu 1,7 Millionen Demenzkranke in Deutschland leben werden.

"Bislang gilt man als pflegebedürftig, wenn man bestimmte Dinge nicht mehr tun kann", sagt Herbert Weisbrod-Frey, Leiter des Bereichs Gesundheitspolitik beim ver.di-Bundesvorstand. Er spricht sich dafür aus, den Begriff der Pflegebedürftigkeit neu zu definieren. Man müsse schauen, was eine Person brauche, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Das hatte auch der Pflegebeirat vorgeschlagen, den die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, SPD, eingesetzt hat. Er hatte im Frühjahr 2009 ausgerechnet, dass diese Begriffsänderung vier bis fünf Milliarden Euro kostet. Damit würde der Beitrag zur gesetzlichen Pflegeversicherung um bis zu 0,5 Prozentpunkte steigen. "Das ist nicht viel, wenn man dafür gute Pflege erhält", sagt Weisbrod-Frey. Der Beitrag wird nach Einkommen erhoben und von Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils hälftig getragen.

Auch die schwarz-gelbe Bundesregierung will den Beitrag zur Pflegeversicherung erhöhen. Der amtierende Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr, FDP, kündigte Mitte November an, der Beitrag werde zum 1. Januar 2013 um 0,1 Prozentpunkt steigen. Herbert Weisbrod-Frey geht davon aus, dass die dadurch zu erwartenden Mehreinnahmen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro nicht einmal für die notwendigen Reparaturen am System ausreichen. Darauf scheint auch die Bundesregierung nicht zu vertrauen. Bahr kündigte an, dass die freiwillige private Vorsorge ab dem 1. Januar 2013 steuerlich gefördert werden soll, ähnlich wie mit der sogenannten Riester-Rente die private Altersvorsorge gefördert wird. "Lobbypolitik", sagt Herbert Weisbrod-Frey, davon würden in erster Linie die Versicherungskonzerne profitieren. Er befürchtet, dass notwenige Leistungen nur über die Zusatzversicherung möglich sind. So werde in der Pflege eine Zwei-Klassen-Gesellschaft entstehen.

ver.di setzt auf eine Vollabsicherung im Rahmen des Leistungskatalogs. "Das ist weniger teuer und sozial gerechter als eine staatlich geförderte Zusatzversicherung", so Herbert Weisbrod-Frey. Ein Gutachten soll im Frühjahr 2012 vorgelegt werden. hla

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