Alis, Kostas oder Ruźas, die vor vierzig Jahren von der deutschen Wirtschaft heiß umworben wurden, haben auf dem Arbeitsmarkt heute schlechte Karten. Auch bei gleicher Qualifikation reicht ihr anders klingender Name oft schon aus, sie im Bewerbungsverfahren sofort auszusortieren. Das belegt eine Arbeitsmarktstudie des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Migration und Integration (SVR).

Für die Studie wurden 3 600 fiktive Bewerbungen mit deutschen und türkischen Nachnamen verschickt. Es zeigte sich, dass die Chance auf die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch bei Bewerbern mit einem türkischen Namen deutlich sinkt. Und nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund, auch Ältere, Frauen mit Kindern, sexuell anders Orientierte, Behinderte und Andersgläubige werden auf dem Arbeitsmarkt oft benachteiligt. Untersuchungen belegen, dass ein entsprechendes Aussehen auf den Fotos allein ausreichen kann, um die Mappe im Papierkorb verschwinden zu lassen.

Wenn man ohne solche Diskriminierung zu einem Ausbildungsplatz oder einer Arbeitsstelle kommen will, kann das anonymisierte Bewerbungsverfahren helfen. Das Verfahren wurde 2011 von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes als einjähriges Pilotprojekt gestartet und hatte das Ziel, die Chancengleichheit der Benachteiligten im Bewerbungsprozess zu verbessern. "Von so einer Möglichkeit hatte ich gehört und habe mich also anonymisiert bei einem Großunternehmen in Berlin um einen Praktikumsplatz beworben", sagt Emine K.. Bis zum Bewerbungsgespräch hat sie es geschafft, dann scheiterte sie aber doch, "weil ich als Kopftuchträgerin wohl nicht in das Firmenprofil passte". Die Eltern der 22-Jährigen stammen aus der Türkei. Sie selbst wurde in Berlin geboren und studiert Betriebswirtschaft. Trotz dieser ersten Erfahrung findet sie anonymisierte Bewerbungen sinnvoll. Dabei wird im ersten Schritt auf persönliche Informationen wie Foto, Alter, Anschrift oder Herkunft verzichtet. Die Qualifikation soll im Vordergrund stehen. Erst im zweiten Schritt, bei der Einladung zum Gespräch, erfahren die Zuständigen alle weiteren Details.

Erfolgreiches Pilotprojekt

Am bundesweiten Pilotprojekt haben sich fünf Unternehmen und drei öffentliche Arbeitgeber beteiligt, 8 550 Bewerbungen wurden eingereicht, 1 300 Vorstellungsgespräche geführt und 246 Stellen besetzt. Die begleitende Studie zeigte, dass besonders Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund von dem Verfahren profitieren. Die Chancen auf ein Vorstellungsgespräch verbesserten sich für diese Gruppen erheblich. Bei der Vorstellung des Abschlussberichts sagte die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), Christine Lüders: "Tatsächlich herrschte bei dem Bewerbungsverfahren Chancengleichheit im Rennen um ein Vorstellungsgespräch." Auch jetzt, zwei Jahre danach, betont sie die Bedeutung des Verfahrens als Instrument gegen Vorurteile. Sie wünsche sich, sagt sie, eine offenere Gesellschaft, die sich auf neue Ideen und Experimente einlässt. Dass die Wirtschaft sich von dem Projekt bisher wenig beeindrucken lässt, entmutigt sie nicht: "Solche Prozesse brauchen Zeit. Wir wollen niemandem etwas vorschreiben, machen aber Fortschritte. Mit unserer Initiative haben wir eine Diskussion angestoßen, die nötig ist."

In angelsächsischen Ländern ist die anonyme Bewerbung schon lange üblich. Auch viele europäische Länder haben damit gute Erfahrungen gemacht. Kritiker bemängeln bei dem Verfahren in Deutschland unter anderem, es verursache zusätzliche Kosten. Das erste Projekt hat dennoch Nachahmer gefunden. Einige Bundesländer wollen das Verfahren ausprobieren: Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben im vorigen Jahr Pilotprojekte gestartet. In Berlin läuft das Modellprojekt seit Anfang 2014, es bereitet Interessenten mit einem Online-Trainingsprogramm auf die anonymisierten Bewerbungen vor. Sechs weitere Bundesländer planen, das Verfahren zu testen.

Von den Teilnehmern am Pilotprojekt auf Bundesebene haben sich große Unternehmen wie die Deutsche Post DHL und die Deutsche Telekom gegen die generelle Einführung der anonymisierten Bewerbung entschieden und in ihren Tochterunternehmen nur eine Teilanonymisierung zugelassen. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion NRW, und die Stadtverwaltung Celle haben das Verfahren übernommen. In Baden-Württemberg zeigten sich kleine und mittlere Unternehmen aufgeschlossen und sind jetzt bereit, ihre Personalauswahl umzustellen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bietet Unternehmen und Institutionen bei der Einführung des Verfahrens ihre Hilfe an und veranstaltet Schulungen für Personalverantwortliche.

Elefteriya Yuanidis

Kostenfreie Seminare finden wieder am 16. und 17. September 2014 statt. Anmeldung: presse@ads.bund.de

Landesstelle für Gleichbehandlung gegen Diskriminierung in Berlin: www.berlin.de/lb/ads

Mit Hilfe eines Tests kann man sich auf die anonymisierte Bewerbung vorbereiten: www.berlin.de/berlinquiz/indexphp/100109?ds.