In seiner Grundsatzrede stimmte Frank Bsirske die Kongressdelegierten auf die anstehenden Herausforderungen ein

In seiner Grundsatzrede auf dem 4. ver.di-Bundeskongress in Leipzig fächerte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske die Aufgaben und Probleme auf, die die Gewerkschaft in den kommenden vier Jahren angehen müsse. Um welche Dimensionen es da geht, das machte Bsirske gleich eingangs klar: "Wir sind gegenwärtig mit vielfältigen Umbrüchen konfrontiert: in der Arbeitswelt wie in der Gesellschaft, in Europa und darüber hinaus. Umbrüche, die verunsichern, aber auch als neue Herausforderungen wahrgenommen werden."

Konkret nannte er die "fundamentalen Umwälzungen" infolge der Digitalisierung von Arbeitswelt und der Gesellschaft. Die Entwicklung, so Bsirske, verlaufe weitaus schneller, als vielfach angenommen, und drohe "etablierte Unternehmen und ganze Branchen samt ihren Beschäftigten in schwere Turbulenzen" zu stürzen. Damit seien Millionen Arbeitsplätze gefährdet. Dem werde die Gewerkschaft ein Konzept entgegensetzen, eine "Agenda für Beschäftigung im digitalen Umbruch". Darin fordert ver.di insbesondere den Ausbau von Qualifizierungsangeboten und alternative Beschäftigungsmöglichkeiten. Die Schaffung "zusätzlicher Beschäftigung" vor allem in den sozialen Dienstleistungen, in Bildung, Gesundheit und Pflege steht ebenso auf der ver.di-Agenda. Auch kürzere Arbeitszeiten, sagte Bsirske, könnten im digitalen Umbruch "ein hilfreiches Instrument sein, Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken".

Kampagne für ein Alter in Würde

Schon jetzt, so der ver.di-Vorsitzende, kennzeichneten "Brüche und Umbrüche auch unsere sozialen Sicherungssysteme: Der Bruch zwischen denen ganz unten und denen ganz oben wird tiefer". ver.di werde daher "weiter dafür streiten, dass prekäre Beschäftigungsverhältnisse eingedämmt werden". Mit starkem Applaus bedachten die Delegierten des Bundeskongresses die Ankündigung ihres Vorsitzenden, eine "langfristig angelegte Kampagne" für eine Rente einzuleiten, die ein Alter in Würde sichert. Schon heute seien immer mehr Rentner gezwungen, zum Sozialamt zu gehen, und jedem dritten Vollzeitbeschäftigten im Land drohe Altersarmut. "Das können und wollen wir nicht hinnehmen", rief Bsirske den Delegierten zu.

Im Sinne gerechterer Verteilung, zur Gewährleistung eines handlungsfähigen Staates und öffentlicher Investitionen etwa in Bildung und Infrastruktur forderte Bsirske eine andere Steuerpolitik. "Bei der Besteuerung von großen Vermögen und Erbschaften ist Deutschland im internationalen Vergleich heute eine Steueroase", sagte er und fügte hinzu: "Erben ist keine Privatangelegenheit. Die steigende Einkommens- und Vermögenskonzentration verhindert Chancengleichheit." Klare Position bezog der ver.di-Vorsitzende gegen die geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, TTIP, zwischen EU und Kanada, CETA, sowie das Abkommen über Dienstleistungen, TISA. Insgesamt, sagte Bsirske, zielten die Abkommen "einseitig auf mehr Wettbewerb und Deregulierung". Er rief auf zu der Großdemonstration gegen TTIP am 10. Oktober in Berlin - und bekam dafür den Applaus des Kongresses.

Wer Schutz braucht, muss ihn erhalten

Klare Worte des ver.di-Vorsitzenden gab es auch zum Thema Flucht: "Ohne jede Einschränkung muss gelten: Wer Schutz braucht, muss ihn in der Bundesrepublik Deutschland erhalten." Die Gewerkschaft ver.di werde sich gegen Versuche zur Wehr setzen, "Flüchtlinge vom Mindestlohn und der Geltung des Arbeitszeitgesetzes auszunehmen und als Lohndrücker einzusetzen".

Nach der knapp anderthalb Stunden langen Rede erhob sich der Kongress, die Delegierten applaudierten stehend.

knies