Erdogan Kaya ist Vorsitzender des ver.di-Bundesmigrations- ausschusses und Mitglied des Gewerkschaftsrates

ver.di publik - Der ver.di-Bundesmigrationsausschuss fordert das Wahlrecht für alle dauerhaft in Deutschland lebenden Menschen, auch für diejenigen, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben. Geht es dabei um das kommunale Wahlrecht? Erdogan Kaya - Nicht nur. Wir treten für beides ein, das kommunale und das allgemeine Wahlrecht, also auch für die Beteiligung der Migrantinnen und Migranten an Bundestagswahlen. Das Thema beschäftigt uns seit langem: Erstmals hatten wir 2011 an den ver.di-Bundeskongress den Antrag gestellt, ver.di möge das kommunale Wahlrecht für alle fordern. Der Bundesvorstand hat sich dann dafür ausgesprochen, gleich beides zu fordern, auch das allgemeine Wahlrecht. Das kommunale Wahlrecht durchzusetzen, kann der erste Schritt sein, damit müssen wir anfangen. Dann können wir sehen, ob sich viele Migrantinnen und Migranten an Kommunalwahlen beteiligen. Ich denke, viele werden das tun. Aber dann muss es weitergehen, dann muss der zweite Schritt folgen. Ein langer Weg liegt vor uns, das ist klar.

ver.di publik - Warum ist das Thema so wichtig? Kaya - Die in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten sollen sich auf regionaler und Bundesebene an allen wichtigen Entscheidungen beteiligen können. Diese Fragen betreffen schließlich auch sie, beispielsweise in der Gesundheits- und Sozialpolitik, in der Bildungspolitik. Dass sie einbezogen werden, ist auch für eine bessere Integration notwendig. Viele Menschen mit Migrationshintergrund wollen nicht mehr ausgeschlossen bleiben, wenn es um Wahlen und politische Entscheidungen geht. Sie wollen die Partei wählen können, der sie zutrauen, ihre Situation zu verbessern. Wenn sie diese Chance bekämen, würden sie hier mehr eingebunden sein, sich mehr zu Hause fühlen und sich mehr engagieren. Alle würden davon profitieren.

ver.di publik - Bei Betriebs- und Personalratswahlen können sie sich ja schon längst beteiligen. Kaya - Ja, und das läuft gut. Viele Migranten wählen die Mitglieder für diese Gremien, sie kandidieren auch selbst und werden gewählt. Sie sind dadurch im Betrieb und in der Verwaltung richtig eingebunden, andererseits profitieren auch alle Kolleginnen und Kollegen von ihrem Einsatz. Das ist ein Beispiel für die Stärkung der Demokratie, wie ich es sehe.

ver.di publik - Um welche politischen Schwerpunkte geht es den ver.di-Aktiven, die sich für das Wahlrecht einsetzen? Was wollen sie mit dem Wahlrecht anfangen, wenn sie es einmal haben? Kaya - Vor allem geht es um Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt, im sozialen Bereich und in der Bildung. Ein Beispiel: Die Ausbildungsmöglichkeiten für Jugendliche mit Migrationshintergrund müssen besser werden. Eine große Zahl von Betrieben stellt sie bisher noch nicht ein, gibt ihnen überhaupt keine Chance. Hätten Migrantinnen und Migranten das Wahlrecht, könnten sie da mehr Druck ausüben. Wären sie Wählerinnen und Wähler, würden die Parteien ihnen ganz anders zuhören.

ver.di publik - Was tun die aktiven Migrantinnen und Migranten in ver.di, um langfristig das Wahlrecht durchzusetzen? Kaya - Viel! Wir haben zum Beispiel eine kleine Broschüre herausgebracht, in der sich Interessierte schnell informieren können, worum es uns geht. Die kann bei uns angefordert oder aus dem Internet heruntergeladen werden. Wir organisieren Aktionen, Veranstaltungen und Infostände in den ver.di-Landesbezirken. Für Betriebs- oder Personalversammlungen und andere Termine von ver.di stellen wir Transparente und auf http://migration.verdi.de drei Videoclips zur Verfügung. Natürlich nutzen wir die zweimal im Jahr stattfindenden ver.di-Aktionswochen, um mit Mitgliedern und (Noch-)Nichtmitgliedern ins Gespräch zu kommen. Die nächste ist im November, wir sind wieder dabei. Genauso wichtig ist: Wir werden die Wahlveranstaltungen der Parteien - allerdings nicht die der rechten - vor der Bundestagswahl besuchen und dort die Kandidatinnen und Kandidaten fragen, wie sie sich zu unserer Forderung nach dem Wahlrecht stellen.

Alle in Deutschland lebenden Menschen sollten ihre Stimme abgeben dürfen

ver.di publik - Wie können sich Interessierte sofort an eurer Initiative beteiligen?Kaya - Auf einer Postkarte können sich alle, die uns unterstützen wollen, für unsere Forderung aussprechen. Das ist auch online möglich, für jede und jeden. Wir sammeln die Karten in der Bundesverwaltung und wollen sie nach der Wahl an die neue Bundesregierung übergeben, möglicherweise während der Koalitionsverhandlungen. Denn unsere Initiative endet nicht nach der Bundestagswahl. Wir stellen uns auf einen langen Prozess ein. Die Frage ist doch: Warum soll man Menschen immer weiter von politischen Entscheidungen ausschließen? Das muss sich ändern.

ver.di publik - Wie ist bisher das Echo auf eure Initiative?Kaya - Gut, vor allem an unserer Foto-Aktion "Wahlrecht weil:" haben sich schon viele Menschen beteiligt. Dabei lassen sie sich mit einem Blatt Papier fotografieren, auf das sie ihr Argument für ein Wahlrecht für alle geschrieben haben. Ich wünsche mir aber für unsere Initiative noch mehr Unterstützung in der ver.di-Organisation, regional und in den Fachbereichen und Personengruppen. Auch für kritische Diskussionen über dieses Thema sind wir jederzeit offen.

Interview: Claudia von Zglinicki


Unterstützung per Postkarte

Die ver.di-Initiative

"Politische Teilhabe darf weder vom Pass noch von der Herkunft oder dem Einkommen abhängen." Charlotte Johnson

"Wir wollen keine Privilegien, sondern die gleichen Rechte." Domenico di Leva

(aus der Broschüre der Initiative der Migrantinnen und Migranten in ver.di)

Wahlrecht anderswo

In 15 von 28 EU-Staaten, zum Beispiel in Schweden und den Niederlanden, dürfen Menschen aus Nicht-EU-Ländern auf kommunaler Ebene wählen. Bürger/innen aus EU-Staaten haben innerhalb der EU das kommunale und das Europa-Wahlrecht an ihrem Hauptwohnsitz.

www.migration.verdi.de www.facebook.com/verdi.migration

Viele Menschen mit Migrationshintergrund wollen nicht mehr ausgeschlossen bleiben, wenn es um Wahlen und politische Entscheidungen geht. Sie wollen die Partei wählen können, der sie zutrauen, ihre Situation zu verbessern