Die Digitalisierung erreicht so gut wie jeden Arbeitsplatz. Selbst dort, wo spontan niemand an Computer und elektronische Akten denkt: in Kitas, der Jugendhilfe, der Betreuung unbegleiteter Minderjähriger – überall in der Sozialen Arbeit. Welche Rolle die Beschäftigten beim Umgang mit neuer Technik spielen und wie das alles gestaltet werden sollte, untersucht das IMU Institut im Projekt "Gute Interaktionsarbeit digital assistiert" noch bis zum Mai. ver.di ist einer der Kooperationspartner.

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Vor- und Nachteile brächte die Digitalisierung mit sich, findet Philipp Heinze. Er ist Personalratsmitglied und ver.di-Sprecher im Sozialreferat München. "Bei uns arbeiten alle Sozialarbeiter*innen schon seit 2015 mit einem Fachverfahren. Das ist eine IT-gestützte Aktenführung, auf der Basis einer Firefox-basierten Oberfläche." Dort dokumentieren die Beschäftigten des Ressorts die Ergebnisse ihrer Arbeit oder fertigen Berichte an. Bisher muss allerdings noch jedes Dokument ausgedruckt werden. "Das soll irgendwann entfallen, zumal das Drucken nicht nur Papier kostet, sondern auch mit einigem Zeitaufwand verbunden ist", so Heinze. Dass die elektronische Akte klare Vorteile bringe, habe sich während der Corona-Pandemie gezeigt, da sie den Beschäftigten die Arbeit im Homeoffice ermöglichte. Auch nach Corona bleibe dieser Vorteil bestehen, etwa für Kolleg*innen von außerhalb, die nun tageweise von zu Hause aus arbeiten können, was im öffentlichen Dienst vor der Pandemie kaum verbreitet war.

Es kostet Arbeitszeit

Nachteilig sei dagegen, dass oft zu viel Zeit für die Aktenführung aufgewendet werden müsse, findet der ver.di-Sprecher, weil nicht nur Fälle dokumentiert und Berichte geschrieben werden, sondern inzwischen auch ein umfassendes Controlling stattfindet. "Die ursprüngliche Standardsoftware, die wir für das Fachverfahren erhalten haben, wurde durch eigene Erweiterungen immer verschachtelter. Das alles kostet letztendlich eine Menge Arbeitszeit. Immerhin gibt es dafür nun eine Personalbemessung." Die ver.di-Betriebsgruppe habe allerdings auch ordentlich Druck gemacht, unter anderem mit einer Unterschriftensammlung. So wird nun erfasst, wie viel Arbeitszeit die Aktenführung kostet.

Es bleiben aus Sicht von Philipp Heinze weiter Kritikpunkte bestehen, etwa die allzu große Datenmenge, die in das System eingefüttert werden muss. "Daneben existiert weiter ein umfangreicher analoger Sektor, denn viele Anträge auf Betreuung oder in der Jugendhilfe werden auf Papier gestellt." Die müssen anschließend von Sozialarbeiter*innen schlicht abgetippt werden – keine Arbeit, die ihrer Qualifikation angemessen ist. Nach mehreren Jahren mit der E-Akte ist sich Personalratsmitglied Heinze jedenfalls sicher, dass es besser gewesen wäre, das ganze Verfahren vorab in einer viel ausführlicheren Pilotphase zu testen. Dabei hätte von allen Beteiligten mehr und auch externer Sachverstand einbezogen werden müssen. Das lasse sich nun kaum nachholen. Und so müssen die rund 1.000 Kolleg*innen im Münchner Sozialreferat versuchen, das Beste aus dem vorhandenen Verfahren zu machen. Immerhin sei eine ausführliche Einarbeitung vor Ort gesichert, was positiv zu bewerten sei.

Grenzen ziehen

Yalcin Kutlu, der Leiter des GIDA-Projektes beim IMU Institut, sieht nach fast dreijähriger Forschung zum Thema vor allem, wie wichtig die Begrenzung des Technikeinsatzes sowie die Mitbestimmung bei ihrer alltäglichen Nutzung sind. "Viele Beschäftigte in der Kinder- und Jugendhilfe sind dabei die treibenden Kräfte bei der Digitalisierung", weiß er. Es sei vor allem den Betriebs- bzw. Personalräten vorbehalten, klare Grenzen zu ziehen und nicht alles zuzulassen, was die Technik heute ermögliche. Für die Kita-App, die die Kommunikation zwischen Erzieher*innen und Eltern erheblich erleichtere, gebe es in Mannheim klare Regeln per Betriebsvereinbarung für die 42 kommunalen Kitas. "Zuvor gab es eine Betriebsratsschulung zur Digitalisierung in der sozialen Arbeit. Das ist wichtig, um kompetent mit den neuen Entwicklungen umzugehen", betont Yalcin Kutlu.

Generell ziehe die Digitalisierung immer stärker in die Einrichtungen ein. "Die IT-Branche entdeckt gerade die Kitas als Kunden." Wenn es darum gehe, dort vielfältige Daten, etwa auch über die einzelnen Kinder, digital zu erheben, sei allerdings größte Aufmerksamkeit erforderlich. "Es darf nicht passieren, dass sie nicht mehr in ihrer Individualität gesehen werden, weil der Algorithmus nur Pauschaleinschätzungen vorsieht", so der Projektleiter. Deshalb sei rechtzeitige Beteiligung so wichtig, nicht nur in punkto Mitbestimmung, sondern auch in den fachlichen Belangen. Das hätten auch viele Erzieher*innen in den Interviews für das GIDA-Projekt als wichtige Anforderung genannt.

Innerhalb des GIDA-Projektes habe es viele Gespräche mit Beschäftigten sowie Betriebs- und Personalräten aus der Sozialen Arbeit gegeben. Die hätten immer wieder zu Tage gefördert, dass der Stand der Digitalisierung in diesem Bereich sich noch am Anfang befinde. Viele Mitarbeiter*innen wünschten sich allerdings digitale Unterstützung. "Es ist möglich, auch auf diesem Weg die Reichweite und Wirksamkeit von Betriebsratsarbeit zu erhöhen", heißt es in einer Projektpräsentation. So könnten Beschäftigtenvertretungen digitale Daten beispielsweise nutzen, um die Einhaltung von Arbeitszeiten zu kontrollieren, ausufernde Arbeit etwa im Homeoffice zu verhindern und generell Datenmissbrauch zu minimieren. "Aufhalten lässt sich der Einzug digitaler Tools in Kitas und Einrichtungen der Jugendhilfe ganz sicher nicht", so Projektleiter Kutlu. "Umso wichtiger ist es, diesen Prozess von Anfang an aktiv mitzugestalten."

Nach Ende des GIDA-Projektes im Mai wird es eine Abschlusspublikation sowie Handlungsempfehlungen für betriebliche Interessenvertretungen geben. Ein Nachfolgeprojekt ist bisher nicht ge-plant.