ULRIKE HERRMANN ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der tageszeitung (taz)foto: A. Weber

Man könnte die Bundesbürger für gestört halten: Die meisten sind zwar überzeugt, dass die Wirtschaft auch in diesem Jahr wachsen wird. Aber nur 22 Prozent glauben, dass sie selbst davon profitieren. Der Rest ist eher pessimistisch. Verlustangst mitten im Boom - das muss man uns Deutschen erst einmal nachmachen. Wieder scheinen wir von der "German Angst" gepackt, dieser grundlosen Dauerfurcht, über die sich unsere europäischen Nachbarn gern lustig machen. Doch so falsch liegen die Bürger gar nicht, wie eine aktuelle Erhebung des statistischen Bundesamtes zeigt. Noch nie sind die Gehälter der Angestellten so bescheiden gestiegen. Sie legten 2006 um ganze 1,2 Prozent zu. Die Löhne der Arbeiter kletterten gerade mal um 1,5 Prozent. Das reicht noch nicht einmal aus, um die Inflation auszugleichen. Wer arbeitet, der verliert trotzdem. Das ist die Botschaft dieser nüchternen Statistik. Und dabei sind diese Zahlen noch geschönt, denn es wurden nur die Tarifgehälter berücksichtigt, obwohl doch tatsächlich schon sehr viele Menschen unterhalb der offiziellen Lohntabellen verdienen.

Diese neuesten Zahlen zeigen, wie rasant die Arbeitnehmer enteignet werden. Sie müssen zwar schon seit Jahren Reallohnverluste hinnehmen, aber dagegen stand bisher das Versprechen, dass sie entschädigt würden, sobald der Aufschwung einsetzt. Der Lohnverzicht war nicht als Dauerphänomen konzipiert, sondern galt als eine Übergangslösung in der Krise. Doch nun boomt die Wirtschaft - und der Trend zum Lohn-Dumping setzt sich unverändert fort, ja, er verschärft sich sogar noch.

Auch die Mittelschichten sind nun breit betroffen. Wer kein Kapital besitzt, der gehört jetzt eindeutig zu den Verlierern. Ungebremst wird das Volkseinkommen neu verteilt, weg von den Beschäftigten und hin zu den Firmeneignern. Natürlich gibt es die Möglichkeit, dass auch Normalbürger über Aktien verfügen und damit am Boom der Gewinne teilhaben. Doch das ist eher Theorie. In der Praxis besitzen nur 10,3 Millionen Menschen Aktien - in Deutschland leben aber rund 82 Millionen. Es bleibt also dabei, dass eine harte Grenze die vielen Verlierer und die wenigen Gewinner scheidet.

Diese Dynamik drückt sich auch im letzten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung von 2005 aus. Erschreckt hat man damals konstatiert, dass das oberste Zehntel der Bevölkerung bereits knapp 47 Prozent des Volksvermögens besitzt. Die untere Hälfte verfügt jedoch nur über ganze 3,8 Prozent. Dieses Missverhältnis dürfte sich inzwischen weiter verschärft haben. In diesen rabiaten Verteilungskämpfen spiegelt sich die Krise eines Staates, der immer noch darauf vertraut, dass Vollbeschäftigung der Normalzustand ist und zwei gleichstarke Tarifparteien dafür sorgen, dass die Balance zwischen Arbeitnehmern und Kapitaleignern gewahrt bleibt.

Doch nach mehr als 30 Jahren Massenarbeitslosigkeit ist die Macht der Gewerkschaften erodiert. Eigentlich müsste der Staat nun eingreifen und gesetzlich für Gerechtigkeit sorgen. Doch das Gegenteil geschieht. Mit ihrer Steuerpolitik haben diverse Bundesregierungen dafür gesorgt, dass reiche Unternehmen noch reicher werden. Schon legendär sind die Steuerreformen der rot-grünen Bundesregierung, die vor allem die Begüterten begünstigt hat, wie nun kürzlich das Finanzministerium eingeräumt hat. Aber dieser Trend setzt sich auch unter der Großen Koalition fort. Per Saldo werden die privaten Haushalte 2007 mit knapp 24 Milliarden Euro belastet. Dazu gehören etwa die Mehrwertsteuererhöhung, der gestiegene Satz für Kranken- und Rentenversicherung, die Kürzung des Sparerfreibetrages und der Entfernungspauschale. Die Unternehmen hingegen können schon in diesem Jahr eine Entlastung von 1,3 Milliarden Euro verbuchen.

Noch erfreulicher wird es für sie dann im nächsten Jahr, wenn die Körperschaftsteuer von 25 auf nur noch 15 Prozent sinkt. Die Schätzungen schwanken, wie sehr die Konzerne davon profitieren - aber sie werden mindestens 5 Milliarden Euro sparen. Es könnten aber auch 13 Milliarden werden. Von der Körperschaftssteuer wäre dann nicht mehr viel übrig, denn für das Jahr 2007 wird geschätzt, dass sie insgesamt etwa 16,9 Milliarden Euro einbringen dürfte. Diese Entwicklung ist nicht harmlos. Bisher wurde die Bundesrepublik Deutschland durch das demokratische Versprechen geeint, dass Gerechtigkeit zählt und dass sich Leistung lohnen soll. Nun muss die Mehrheit erleben, dass tatsächlich vor allem die Besitzverhältnisse entscheiden. Das ist neu und es ist politisch gefährlich.

Nun muss die Mehrheit erleben, dass tatsächlich vor allem die Besitzverhältnisse entscheiden