Es gibt einen wirtschaftlichen Aufschwung, aber die Meisten haben nichts davon. Trotz hoher Gewinne entlassen die Unternehmen Leute und versuchen, die Gehälter zu drücken

Von MARTIN KEMPE

Großdemo in Bonn: Mitarbeiter/innen wehren sich gegen drohende Auslagerung

Mitten im Wirtschaftsaufschwung will die Telekom trotz hoher Gewinne 50 bis 60000 Beschäftigte ausgliedern, um die Löhne zu drücken und die Arbeitszeit zu verlängern. Damit signalisiert die Telekom allen Beschäftigten: Trotz verbesserter Wirtschaftslage gibt es für sie keinerlei Verbesserungen. Allianz-Konzern und andere Finanzdienstleister stoßen in dasselbe Horn. Sie kündigen - bei massiv steigenden Gewinnen - weiterhin drastischen Personalabbau an. Der Pharmakonzern Bayer will 6100 Stellen abbauen, bei Airbus stehen mehr als 10000 Jobs auf der Kippe. Die 30 bedeutendsten Unternehmen in Deutschland, versammelt im Deutschen Aktienindex (DAX), haben im letzten Jahr per Saldo 43000 Stellen abgebaut und gleichzeitig gut 27 Milliarden Euro an ihre Anteilseigner ausgeschüttet - so viel wie noch nie. 20 der 30 DAX-Konzerne steigerten ihren Jahresüberschuss im letzten Jahr zweistellig.

Der gerade beginnende Wirtschaftsaufschwung macht Arbeitgeber und Aktionäre reicher, aber bei denen, die ihn erwirtschaften, ist er bisher nicht angekommen. Wie bereits in den Jahren zuvor gab es auch 2006 keine reale Lohnerhöhung, sondern unter Berücksichtigung der Inflationsrate von 1,7 Prozent ein Minus von 0,3 Prozent. Gleichzeitig sind die Einkünfte aus Unternehmen und Vermögen um 7,3 Prozent gestiegen. Nur auf Grund der gestiegenen Beschäftigung ist der private Konsum im letzten Jahr um 0,4 Prozent gestiegen. Aber selbst der Abbau der Arbeitslosigkeit um rund 800000 (Februar 2006 bis Februar 2007) auf knapp über 4 Millionen Leute, ist eher Schein als Wirklichkeit. Denn dem steht nur ein Zuwachs der Erwerbspersonen von rund 540000 Beschäftigten gegenüber. Etwa 500000 dieser Jobs sind sozialversicherungspflichtig.

Wie lässt es sich erklären, dass die Arbeitslosigkeit stärker abnimmt als die Beschäftigung steigt? Normalerweise ist es in einer wirtschaftlichen Aufschwungphase eher umgekehrt: Die Beschäftigtenzahlen steigen stärker an als die Arbeitslosenzahl sinkt, weil zusätzlich zu bislang Arbeitslosen zahlreiche Menschen aus der statistisch nicht erfassten "stillen Reserve" eine Arbeit aufnehmen. Des Rätsels Lösung: Die Bundesagentur für Arbeit hat in den letzten Monaten eine "systematische Überprüfung des Arbeitslosenstatus" vorgenommen, also bisher als arbeitslos registrierte Personen aus ihrer Statistik gestrichen.

Obermann setzt auf die falsche Strategie

Aber auch der Anstieg der Beschäftigtenzahlen um rund eine halbe Million ist mit Vorsicht zu genießen. Denn rund die Hälfte dieser Stellen sind in der Zeitarbeitsbranche entstanden. Doch die ausleihenden Unternehmen scheuen sich, sich durch Festeinstellungen längerfristig zu binden. Zwar ist das für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer noch besser als arbeitslos zu sein, aber die Existenzunsicherheit ist geblieben - kein Wunder, dass die Stimmung in der Bevölkerung durch den Wirtschaftsaufschwung bislang kaum besser geworden ist.

Eine wirkliche Verbesserung für die prekär Beschäftigten kann erst eintreten, wenn es einen deutlichen Anstieg regulärer Beschäftigung gibt. Dazu allerdings muss sich der Aufschwung verstetigen und zusätzliche Impulse durch höhere Binnennachfrage erhalten. Oder weniger abstrakt: Die Beschäftigten brauchen mehr Geld und sichere Arbeitsverhältnisse - also das Gegenteil von dem, was Telekom-Chef René Obermann als Sanierungsstrategie bei der Telekom kaltschnäuzig durchziehen will.

Die Proteste der Beschäftigten bei der Telekom und anderswo, die Aktionen der Beschäftigten in den anstehenden Tarifrunden um eine deutliche Einkommensverbesserung dienen nicht nur den unmittelbar Beteiligten in der Druckindustrie und im Handel. Sie sind Teil einer allgemeinen sozialen Auseinandersetzung, damit der Aufschwung endlich auch denen zugute kommt, die ihn mit ihrer Arbeit ermöglicht haben. Der Abschluss in der Chemiebranche von 3,6 Prozent plus Einmalzahlungen zeigt, dass Spielräume vorhanden sind.

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