Die Regierung operiert an der gesetzlichen Unfallversicherung. Es drohen Leistungskürzungen zu Lasten der Betroffenen

Die Rente mit 67 ist beschlossen, das Gesetz zur Gesundheitsreform unterschrieben, die Pflegeversicherung auf dem Prüfstand, schon droht das nächste Werk: Die gesetzliche Unfallversicherung soll "zukunftsfest" gemacht werden. Von den Plänen ist bislang kaum etwas an die Öffentlichkeit gedrungen. Ein erster Arbeitsentwurf soll jetzt an die Länder übermittelt werden. Die Gewerkschaften befürchten eine Einschränkung der Leistungen für die von Arbeitsunfällen Betroffenen.

Der Verursacher zahlt

Betroffen sind alle: jedes Kind im Kindergarten, Schüler, Studenten, Arbeitnehmer. Wer einen Unfall am Arbeitsplatz oder auf dem Weg zur Arbeit (Kindergarten, Schule usw.) hat oder an einer Berufskrankheit leidet, dem wird heute die medizinische Behandlung, berufliche Rehabilitation und gegebenenfalls eine Rente bezahlt. Die Beiträge tragen - gemäß dem Verursacherprinzip - allein die Arbeitgeber (jährlich neun Milliarden Euro). Damit sind sie von weiteren Zahlungen befreit. Schadenersatzansprüche in Millionenhöhe, wie in den USA üblich, sind hier zu Lande nicht möglich. Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sind die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen.

Wie einst von Rot-Grün geplant, soll die Unfallversicherung in eine straffere Organisation mit "zielgenauem" Leistungsrecht umgebaut werden. Staatssekretäre in Bund und Ländern haben dazu ein Eckpunktepapier erarbeitet.

Dies sieht eine Fusion von Berufsgenossenschaften und eine Verschmelzung der Spitzenverbände der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen zur Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung vor. ver.di trägt diesen organisatorischen Umbau mit, wendet sich aber gegen eine von Bund und Ländern geplante Staatsaufsicht.

Bislang ist es so: Verliert jemand bei einem Arbeitsunfall seinen Daumen, erhält er abhängig von seinem Einkommen monatlich und lebenslang eine Unfallrente. Damit, so fürchtet etwa die IG Metall, soll bald Schluss sein. Wer sich mit Hepatitis ansteckt, ein teilversteiftes Schultergelenk zurückbehält oder durch Lärm schwerhörig wurde, ginge leer aus. Fast die Hälfte aller Renten fiele weg, so entnimmt es die DGB-Arbeitsschutzexpertin Marina Schröder den Plänen.

Abfindung statt Rente

Auch Schwerverletzte hätten das Nachsehen. Statt einer lebenslangen Rente erhielten sie eine einmalige Abfindung. Das ist gerechter, heißt es im Bundesarbeitsministerium, weil nun das Einkommen keine Rolle mehr spielt. "Der Arm eines Chirurgen ist künftig genauso viel wert wie der Arm eines Maurers", so Staatssekretär Heinrich Tiemann (SPD). Allein wenige Schwerstverletzte bekämen mehr Geld.

Zusätzlich sollen - und das ist neu - durch bleibende Gesundheitsschäden verursachte Einkommensverluste abgegolten werden. Marina Schröder vom DGB ist skeptisch: Wie kann man nachweisen, dass eine schlechter entlohnte Arbeit wegen eines Unfalls oder einer Berufskrankheit angenommen werden muss? Horst Riesenberg- Modeja von ver.di sieht ein weiteres Problem: "Ich fürchte, dass auf Verletzte ähnlich wie auf Arbeitslose großer Druck ausgeübt wird, jede erdenkliche Arbeit anzunehmen." Um die Zahlungen möglichst gering zu halten.

Die Arbeitgeber klagen schon lange über angeblich zu hohe Belastungen. Mal sollen Wegeunfälle aus dem Leistungskatalog gestrichen, mal soll die gesamte Unfallversicherung privatisiert werden. Das ist - auch dank der Gewerkschaften - vorerst vom Tisch. Wenn jedoch Unfälle einmalig entschädigt werden, ist damit der erste Schritt auf dem Weg zur Privatisierung getan, argwöhnt Schröder. Denn für die private Versicherungswirtschaft wird die Unfallversicherung dann interessant, wenn lebenslange Rentenzahlungen wegfallen.

ver.di hält die Pläne in vielen Punkten für unausgegoren. Ein Grund mehr, das Gesetz nicht im Eilverfahren durchzuboxen, sagt Riesenberg-Modeja. "Wir werden nicht hinnehmen, dass die Arbeitgeber auf Kosten von Kranken und Verletzten entlastet werden."

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Betroffen sind alle: Kinder im Kindergarten, Schüler, Studenten, Arbeitnehmer