Ein Schritt zurück, eine Sprung nach vorn

Die Welle der Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen ist noch längst nicht abgeklungen. Dennoch nehmen jetzt einige Gemeinden frühere Entscheidungen zurück und geben beispielsweise die Müllabfuhr wieder in die Hände städtischer Eigenbetriebe

Von HEIKE LANGENBERG

Demonstration vorm Düsseldorfer Landtag

Wo können wir Geld sparen, fragte sich vor rund drei Jahren der Kämmerer der nordrhein-westfälischen Stadt Bergkamen. Er wurde schnell fündig: bei der Müllabfuhr. Der Restmüll wurde bislang von einem privaten Entsorger weggeschafft. Seit dem 3. Juli 2006 erledigt das ein städtischer Eigenbetrieb: der Entsorgungs- Betrieb Bergkamen (EBB).

Ausschlaggebend waren Kostengründe, sagt Hans-Joachim Peters, Betriebsleiter des EBB. 30 Prozent geringere Kosten hatten Gutachter der Kommune in Aussicht gestellt - obwohl sechs neue Fahrzeuge angeschafft wurden und die 16 Mitarbeiter, weitgehend neu eingestellt, nach Tarif bezahlt werden. Die EBB-Mitarbeiter holen in den 21000 Haushalten der Gemeinde Rest-, Sperr- und Biomüll sowie Papier und Grünschnitt ab.

"Wir konnten mehr einsparen, als wir anfangs erwartet hatten", erinnert sich Peters. Vor drei Jahren ist die Stadtverwaltung ergebnisoffen an eine mögliche Neuordnung der Müllabfuhr herangegangen. Ein Verbund mit umliegenden Kommunen ist ebenso diskutiert worden wie der Verbleib bei einem privaten Entsorger oder der Eigenbetrieb. Letzterer versprach die günstigste Lösung. Deswegen stimmte der Stadtrat zu.

Die Gebühren sind gesunken, der Service wurde verbessert

Von den Einsparungen profitieren auch die Bürgerinnen und Bürger der Stadt. Ihre Müllgebühren sind gesunken. Für Restmüll um 5,9 Prozent in 2006 und weitere 1,5 Prozent in diesem Jahr. Bei Biomüll zahlten sie 10,6 Prozent weniger in 2006 und weitere 6,5 Prozent weniger in 2007. Und das, obwohl der Kreis die Kosten für die Müllverbrennung um sechs Prozent angehoben hat und die Mehrwertsteuer zu Beginn des Jahres 2007 um drei Prozentpunkte gestiegen ist. Zugleich profitieren die 52000 Einwohner der Stadt von einem besseren Service.

Der EBB bietet beispielsweise ein Beschwerdemanagement an, kaputte Tonnen werden schneller ersetzt. Der Sperrmüll wird gegen geringe Zusatzgebühren innerhalb von 72 Stunden abgeholt oder auch direkt aus der Wohnung oder dem Keller getragen. Hinzu kommt eine Windeltonne, ein Angebot, das Eltern kleiner Kinder entlastet.

Der Personalratsvorsitzende der Stadtverwaltung, Norbert Henter, begrüßt die Entscheidung: "Wir freuen uns, dass wieder ein paar Leute mehr im öffentlichen Dienst sind." Die Kommune schaue schon danach, was für den Bürger am günstigsten sei - und das sei nicht immer die Privatisierung. "Hier haben wir ein schönes Beispiel, wie öffentliche Dienstleistungen zurückgeholt worden sind", so Henter.

Geweckt wurde mit diesem Schritt auch das Interesse von anderen Kommunen. "Es gibt mehrere Fälle von Rekommunalisierung", hat auch Erich Mendroch beobachtet. Er leitet bei ver.di die Bundesfachgruppe Abfallwirtschaft. In anderen Orten werde hingegen weiter privatisiert. Was günstiger sei, müsse man im Einzelfall prüfen. Zum Teil gebe es jedoch die Erfahrung, dass die Privaten entgegen ihren Versprechungen nicht immer billiger seien.

"Marktpreise" unter fünf Euro schaden seriösen Anbietern

Für den Fall, dass Private mit der Abfallentsorgung beauftragt werden, fordert Mendroch, dass die Branchentarifverträge als zwingendes Ausschreibungskriterium verlangt werden. Das ist zulässig, hat jüngst das Bundesverfassungsgericht festgestellt (1 BVL 4/00). Der tarifliche Stundenlohn liegt nach Mendrochs Angaben für kommunal wie privat angestellte Fahrer etwa gleichauf bei zwölf Euro. Das Problem sei, dass viele private Firmen nicht mehr Mitglied des Arbeitgeberverbandes seien. So entstünden "Marktpreise", die beispielsweise in einigen Regionen Sachsens bei 4,90 Euro pro Stunde liegen. "Seriöse Anbieter kommen so unter die Räder", kritisiert der Gewerkschafter. Und damit beispielsweise auch Arbeits- und Gesundheitsschutz.

ver.di sieht die Abfallwirtschaft als Teil der Daseinsvorsorge. Diese liege in der Verantwortung der Kommunen - und das gebe ihnen das Recht zu entscheiden, wer den Müll entsorgt, ein privater oder eben kommunaler Entsorger. In einigen Kommunen wachse der Widerstand der Bürgerinnen und Bürger gegen eine geplante Privatisierung. Als Beispiele nannte Mendroch Lübeck und Leipzig.

"Es gibt durchaus noch mehr Beispiele für die Rekommunalisierung von privat vergebenen Dienstleistungsaufträgen", sagt Birgit Ladwig aus dem Bereich Politik und Planung der ver.di-Bundesverwaltung. So gliedert die Stadt Hannover zwei Prüfstatiker wieder ein. Für ihre Dienstleistungen, beispielsweise das Überprüfen von Statikerberichten bei Bauvorhaben, kann die Stadt von den Bauherren Gebühren verlangen. Dadurch rechnet die Verwaltung mit einem Gewinn, selbst wenn die Lohnkosten abgezogen werden. Aus finanziellen Gründen bleibt in Freiburg die Gebäudereinigung in kommunaler Regie, ebenso soll sie in der Stadt Dortmund wieder kommunalisiert werden. Der Landkreis Soltau-Fallingbostel hat die Abfallentsorgung bei der Fusion der beiden Landkreise wieder übernommen.

"Dabei ist aber zu beobachten, dass im Kontext solcher Entscheidungen nicht alles beim Alten bleibt", gibt Ladwig zu bedenken. Ausschlaggebend für die Entscheidung pro kommunale Eigenerledigung sei oft die durchgreifende Optimierung von Arbeitsprozessen, um die Produktivität zu erhöhen. Wenn damit aber auch Qualifizierung für die Beschäftigten und der Erhalt sozial abgesicherter Arbeitsplätze in einer Region verbunden sei, unterstützen die Gewerkschaften solche Unternehmenskonzepte.

http://kommunalverwaltung.verdi.de/themen/rekommunalisierung

Kommentar

Öffentliche Dienstleistungen und politische Verantwortung

Die vereinte Dienstleistungsgewerkschaft steht Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen nicht nur in Nordrhein-Westfalen äußerst kritisch gegenüber. Die Ablehnung soll auch im politischen Grundsatzprogramm der Organisa-tion festgehalten werden, das beim 2. ordent- lichen Bundeskongress im Oktober diskutiert und beschlossen werden soll.

Kritisiert wird nicht nur, dass eine Privatisierung öffentlicher Aufgaben die Möglichkeiten einer politischen Steuerung erschwert. Politik muss sich unter anderem daran messen lassen, ob Bürgerinnen und Bürger gleichen und erschwinglichen Zugang zu lebenswichtigen Gütern und Diensten haben. ver.di bezieht ihre Forderungen nicht nur auf Ver- und Entsorgung, Verkehrs-, Energie- und Telekommuni- kationsnetze, sondern auch auf die Bereiche Bildung, Gesundheit, Kultur, Sparkassen und Umweltschutz.

Die Dienstleistungsqualität soll hoch bleiben, gleichzeitig sollen die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten aber auch nicht verschlechtert werden. Umgekehrt sieht ver.di selbstverständlich, dass öffentliche Dienstleistungen zweckmässig sein und ihre Leistungsfähigkeit stets neu unter Beweis stellen müssen.