Die Delegierten der Landesbezirkskonferenz von ver.di Hessen sind sich in fast allen Punkten einig

Von Renate Bastian

Dass es bei der hessischen Landesbezirkskonferenz keine großen Überraschungen gab, erstaunte an den Tagen des Geschehens, am 23. und 24. März, so recht niemanden. Die Konferenz selbst kann als Abschluss eines längeren Arbeitsprozesses betrachtet werden. So waren die personellen Alternativen für die Position des Landesleiters bereits auf den Konferenzen in den Bezirken, Fachbereichen, bei den Frauen und der Jugend vorgestellt worden. Für die auf drei Mitglieder verkleinerte Landesleitung kandidierten zwei Kolleginnen und zwei Kollegen. Die vorgegebene Frauenquote machte so das Duell der Männer spannend. Zu zwei Dritteln entschieden sich die Delegierten für den bisherigen Landesleiter Jürgen Bothner, der unabhängig von der bisher gültigen Gewerkschaftsquote wieder gewählt wurde. Hans Kroha, der stellvertretende Landesleiter, unterlag in der Abstimmung.

Mit der roten Karte gegen Kombi- und Investivlöhne

Und auch einer der gewerkschaftspolitischen Schwerpunkte, die Verabschiedung eines eigenen hessischen Entwurfs zur ver.di-Programmdiskussion, sorgte nicht mehr für Aufregung. Dem Entschluss zu einem eigenen Vorschlag war eine Reihe von Veranstaltungen vorausgegangen. Intensiv hatte zudem eine - wenn auch zahlenmäßig nicht sehr umfangreiche - Arbeitsgruppe debattiert, Vorschläge unterbreitet und formuliert. Grundlage war ein Entwurf des Fachbereichs Telekommunikation. Die Gliederungen der hessischen ver.di wurden auf dem Laufenden gehalten. So zeugt die Abstimmung - es gab eine Gegenstimme und vier Enthaltungen - von fundierter Einmütigkeit. Gleichwohl bleibt zu wünschen, dass die nächste Etappe der Diskussion weiter in die Organisation greift. Das Bedürfnis danach wurde jedenfalls geäußert.

Ein weiterer Schwerpunkt der Antragsberatung war die Debatte über die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Grundsätzlich wandte sich die Konferenz gegen jegliche Form von Privatisierung und gegen den Verkauf öffentlichen Eigentums (siehe Antragstext). In der Begründung heißt es: Der öffentliche Dienst als Garant eines gleichen Zugangs zu Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge werde systematisch zerschlagen. "Dahinter steckt die Ideologie der freien Märkte und des Wettbewerbs... Die Debatte um die Zukunft öffentlicher Dienstleistungen beinhaltet die Auseinandersetzung um die EU-Dienstleistungsrichtlinie, um die Gemeindefinanzreform, um die Föderalismusreform und die zukünftige Bedeutung kommunaler Selbstverwaltung." Betroffen sind die Beschäftigten - wie aktuell an den Städtischen Kliniken Frankfurt - ebenso wie die Bürgerinnen und Bürger. Dazu gehören auch die öffentliche Wohnungswirtschaft oder das Straßenverkehrsnetz als staatlich garantierte Infrastruktur.

Wenngleich es ein Geplänkel darüber gab, wie strikt das Privatisierungsverbot gehandhabt werden soll, ver.di Hessen lehnt ohne Wenn und Aber Projekte von Public Private Partnership (öffentlich-private Partnerschaft) ab und rät zur Wachsamkeit gegenüber Vorstufen von Privatisierung, zum Beispiel im Bereich der Sparkassen. Diese Gefahr abzuklären galt es auch bei der geplanten Umwandlung der Goethe-Universität Frankfurt in eine Stiftung. Selbst angesichts eines geschichtlichen Rückblicks auf den "Segen privater Stiftungen" zeigten sich die Delegierten unnachgiebig. Ebenso eindeutig fiel die Stellungnahme gegen Studiengebühren aus - im Kern nichts anderes als eine Privatisierung von Bildung. Wie sagte Jürgen Bothner in seinem mündlichen Geschäftsbericht zusammenfassend? Hessen darf nicht geführt werden wie ein Gutshof. Auch dort funktioniert manches. Die Nutznießer aber sind wenige, die Lasten tragen viele.

Für einen Landesbezirk wie Hessen, der sich in der Kampagne für einen gesetzlichen Mindestlohn so stark engagiert hat, war das positive Votum dafür eine Selbstverständlichkeit. Die Marke soll allerdings angehoben werden auf neun Euro. Kombilohn und Investivlohn erhielten die rote Karte. Gelder für Ein Euro-Jobs sollten besser in die Schaffung von Regelarbeitsplätzen im öffentlichen Dienst gesteckt werden.

Über vieles wäre noch zu berichten: Sozialpolitik, Frauengleichstellung, Tarife, Jugend, Bildung. Eine Minute vor dem Zeitplan endete die Konferenz.


LANDESLEITUNG

Sie wurden gewählt

Jürgen Bothner Landesleiter ver.di Hessen

Was bringe ich mit für den Posten des Landesbezirksleiters? Ich gehe unangenehmen Dingen nicht aus dem Weg. Ich arbeite ziel- und ergebnisorientiert. Ich spreche Dinge, die mir nicht gefallen, sofort an und versuche, sie zu verändern. Ich schätze eine direkte Ansprache, freue mich über konstruktive Kritik, lasse mich von guten Argumenten überzeugen. Und es ist für mich selbstverständlich, zu getroffenen Verabredungen zu stehen.

Daher kann man von mir auch in Zukunft Verlässlichkeit erwarten. Als Aufgaben stehen: Weiterführung des politisch-strategischen Prozesses, Zusammenarbeit mit alten und neuen Bündnispartnern, Neuausrichtung der Jugend- und der Bildungsarbeit, Stärkung der Vertrauensleute, Befähigung der Organisation zur politischen Auseinandersetzung.

Cornelia Kröll Leiterin des Fachbereichs Sozialversicherungsträger

Verhandlungssysteme in Politik, Gesellschaft, Betrieben und Dienststellen herzustellen und zu pflegen gehört zu einer Kernaufgabe, der wir uns zu stellen haben. Es muss immer möglich sein, mit dem jeweiligen Gegenüber zu sprechen. Fehlt diese "Sprechfähigkeit", dann werden wir nicht wahrgenommen, dann stellt uns das sozusagen vom Spielfeld.

Uns und unseren Mitgliedern ist nicht damit gedient, wenn wir Regierungen, Parteien, Verbände oder Gruppen ignorieren.

Sibylle Lust Leiterin des Fachbereichs Gemeinden in Bayern seit 2001, bis dahin Landesfrauenleiterin und ehrenamtliche Funktionärin in der damaligen ÖTV in Marburg-Biedenkopf.

ver.di ist eine Mitmachorganisation. In diesem Sinne müssen wir unser betriebliches und tarifpolitisches Profil genau so stärken wie unser politisches Profil.

In den aktuellen und zukünftigen Auseinandersetzungen können wir beweisen, dass solidarisches Handeln über Fachbereichs- und Bezirksgrenzen hinweg in ver.di Hessen erfolgreich ist.


KONGRESS

Antrag zum Programmentwurf

Nach intensiver Auseinandersetzung mit dem Bundesentwurf zur Programmdebatte im Landesbezirk Hessen hat die Landesbezirkskonferenz beschlossen, einen eigenen Programmentwurf zu erarbeiten und dem Bundeskongress vorzulegen. Darin heißt es: ver.di engagiert sich für eine Zukunft, die den Menschen Chancen für ein selbstbestimmtes Leben bietet. Unsere gesellschaftspolitischen Leitvorstellungen sind dabei Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Menschenwürde und Freiheit von Diskriminierung. Auf dieser Werte-Grundlage streben wir eine solidarische Gesellschaft an, die allen die gleiche Chance auf Beteiligung am materiellen Reichtum, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben und an den politischen Entscheidungsprozessen bietet. Weil Beteiligungschancen eng mit den materiellen Möglichkeiten des Einzelnen verbunden sind, treten wir für eine Politik ein, die auf eine Vermeidung von Armut und die gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen zielt. Wir wollen die Würde des Menschen gegen eine Profitlogik verteidigen, die den Einzelnen nur als Kostenfaktor begreift.


ANSPRACHE

Die Bedeutung internationaler Politik

Frank Bsirske sprach über internationale Gewerkschaftspolitik

Am späten Konferenznachmittag beschäftigte sich der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske vornehmlich mit der internationalen Gewerkschaftspolitik. Für die europäische Union forderte er Mindeststandards in der Sozial- und Steuergesetzgebung und eine am Produktivitätszuwachs orientierte Einkommenspolitik. Insbesondere in der Euro-Zone müsse es zu einer Angleichung kommen. Denn ein Wettbewerb zur Kostensenkung gehe erfahrungsgemäß vor allem zu Lasten der Arbeitnehmer/innen.

Nachdem es in der Euro-Zone nicht mehr die Möglichkeit gebe, die unterschiedlichen Bedingungen über die Wechselkurse zu beeinflussen, versuchten Unternehmen und Regierungen dies über Einkommenspolitik und Sozialdumping. Hier tue sich besonders Deutschland negativ hervor, entgegen der veröffentlichten Meinung. Bsirske wies darauf hin, dass die effektiven Unternehmenssteuersätze hierzulande zu den niedrigsten in Europa zählen und die Entwicklung der Einkommen seit Jahren weit hinter der in anderen EU-Ländern herhinke. Deshalb wolle sich ver.di in den bevorstehenden Lohn- und Gehaltsrunden für deutliche Verbesserungen einsetzen. Mit diesem Themenkomplex beschäftigten sich auch zahlreiche Anträge.

REB