Der Gewerkschaftsdachverband Cosatu wird immer mehr zur inoffiziellen Opposition

VON TOM SCHIMMECK

Gegen Armut: Streik in Johannesburg

Die Wirtschaft blüht, die Demokratie lebt. Ein Teil der einst unterdrückten Bevölkerungsmehrheit hat vom neuen Südafrika profitiert. Seit die Apartheid 1994 abgeschafft wurde, sind neuer Wohlstand und ein neuer Mittelstand gewachsen. Das Land verbucht sogar einen Haushaltsüberschuss. Doch die ärmere Hälfte der Bevölkerung spürt wenig Fortschritt. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei 40 Prozent. An den Ampeln in den Großstädten stauen sich Luxuskarossen. Dazwischen stehen Händler und Bettler, die versuchen, ein paar Krümel des Wohlstands zu ergattern. "Thank you, master", murmeln sie in unseliger Tradition, wenn man etwas kauft.

Studien besagen, die Ärmsten sind noch ärmer als vor einem Jahrzehnt. 61 Prozent der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung haben zu wenig Arbeit - oder gar keine. Kaum sieben Prozent der Schulabgänger können einen richtigen Job ergattern.

Schwarze Kapitalisten

Die Ungeduld wächst, auch innerhalb der traditionellen Dreierallianz von ANC, kommunistischer Partei (SACP) und dem Gewerkschaftsdachverband Cosatu (Congress of South African Trade Unions). Der ANC regiert das Land seit der Präsidentschaft Nelson Mandelas (1994-1999) mit großer Mehrheit. Doch vor allem die Gewerkschaften entwickeln sich immer mehr zur inoffiziellen Opposition.

Im Zentrum ihrer Kritik steht die Wirtschaftspolitik von Präsident Thabo Mbeki. Der Nachfolger Mandelas betrieb immer einen wirtschaftsfreundlichen Kurs, garniert mit Visionen von einer "schwarzen Kapitalisten-Klasse", die das Ende der ökonomischen Rassentrennung einläuten und auch den Rest der Benachteiligten mitreißen sollte.

Heute muss sich die ANC-Politik des "Black Economic Empowerment" (BEE) den Vorwurf gefallen lassen, nur wenige neue Privilegierte geschaffen und dem großen Rest wenig gebracht zu haben. Der Abstand zwischen armen und reichen Schwarzen wächst rapide. Das böse Wort von der "Selbstbelohnung" der alten Aktivisten macht die Runde. "Manche Veteranen des Widerstands", meint eine bekannte Sängerin beim Kaffee, "glauben, jetzt eine Belohnung verdient zu haben. Und bereichern sich."

Präsident Mbeki reiste in den vergangenen Wochen durchs Land, um denen zuzuhören, die immer noch in Wellblechhütten ohne Strom wohnen. "Wir schaffen Jobs", sagt Vizepräsidentin Phumzile Mlamba-Ngcuka, "aber offensichtlich nicht so schnell, wie wir müssten."

Der Killer geht um

Auch bei anderen drängenden Themen sind die Gewerkschaften auf Distanz gegangen. Energisch kritisieren sie Mbekis Aids-Politik. Der Präsident hängt Mythen und Verschwörungstheorien über die Seuche an, die der größte Killer im Lande ist. Effiziente Prävention und Hilfe wurden durch diese Haltung lange erschwert.

Gewerkschafter geißeln auch das Versagen des Präsidenten gegenüber dem Nachbarland Zimbabwe. Dort klammert sich der einstige Befreiungskämpfer Robert Mugabe seit 1980 an die Macht. Über die Jahre ist er zum folternden Diktator verkommen, doch Mbeki setzt unverdrossen weiter auf "stille Diplomatie".

Die Frage lautet: Wie kann der Dachverband Cosatu seinen Einfluss in der ANC-Allianz stärken? Wie die als "neoliberal" gegeißelte Richtung beeinflussen? Cosatu-Generalsekretär Zwelinzima Vavi sieht keine Alternative zum ANC: "Alle linken Parteien driften nach rechts, wenn sie in der Regierung sind", meint er. Der ANC sei weiterhin die wichtigste, wiewohl reparaturbedürftige Kraft. Der Gewerkschaftsdachverband soll dabei eine tragende Rolle spielen.

Präsident Mbeki wird 2009 abtreten. Das Gerangel um die Nachfolge an der Spitze von ANC und Regierung ist längst entbrannt. Teilen der Gewerkschaftsbewegung gilt Jacob Zuma als bester Garant für eine arbeitnehmerfreundlichere Politik. Doch Zuma ist eine schillernde Figur. Mbeki feuerte den Vizepräsidenten 2005 wegen schwerer Korruptionsvorwürfe. Es besteht der Verdacht, dass Zuma für einen viele Millionen schweren Waffendeal Schmiergeld von europäischen Rüstungsfirmen erhielt. Die Ermittlungen laufen. Hinzu kam ein Vergewaltigungsprozess, in dem der Angeklagte nach der entlastenden Aussage seiner Tochter freigesprochen wurde. Im Laufe des Verfahrens hatte Zuma, immerhin Ex-Chef des Nationalen Aids-Rates, erklärt, nach dem Geschlechtsakt geduscht zu haben, um einer Ansteckung mit HIV vorzubeugen.

In den Augen der Zuma-Anhänger sind die Vorwürfe und Verfahren nur Intrigen. Ihr Held, noch immer ANC-Vizechef, versteht es, populistische Reden zu halten, in denen er verlangt, dass "die Macht bei den Massen bleiben" müsse. Inzwischen aber scheinen in der Gewerkschaftsbewegung die Zweifel an Zuma zu wachsen. Das Zentral- komitee der Cosatu trifft sich im September, um Position zu beziehen.