Paso Doble

Les Rita Mitsouko: Variéty

Nein, seit Plastic Bertrand war so gut wie nichts aufgetaucht, was außerhalb der Landesgrenzen auf gnädige Ohren getroffen wäre. Noch in den 80ern schien Frankreich auf ewig verdonnert, die Landkarte der Popmusik mit Chansons zu bevölkern. Auch Les Rita Mitsouko kultivierten mit Macht die Ironie und fuhren gut damit. Ihr erster Hit hieß Marcia Baila und war eine flotte Elektro-Tanznummer mit Punk-Attitüde, die 1985 gerade auch in Deutschland einschlug. Sie verwirrten, weil sie ungefragt Kunst und Kommerz verbanden - damals eine regelrechte Schweinerei! Da sang eine junge Frau mit futuristischen Frisuren und schneidender Stimme eingängige Melodien, begleitet von einem bleistiftdünnen Mann mit Lippenbärtchen, der seine langen Gliedmaßen um die Rockgitarre wickelte. Die Songs waren tanzbar und von Conny Plank produziert, dem legendären Tonmeister von Kraftwerk und Konsorten. Und auch sonst war Cathérine Ringer und Fred Chichin das Interesse der Kunstszene sicher. Gaultier schneiderte für sie drauflos, Godard zückte die Kamera, die Sparks drückten ihnen einen Song aufs Auge, es gab viel weitere Zusammenarbeiten mit internationalen Künstlern. An einem solchen Erfolg samt Glaubwürdigkeit müssen andere Bands lange stricken. Die Zuschreibung "Avantgarde" schmückt das Duo, das längst in der Mainstream-Kultur des Landes verankert ist, bis heute, obwohl das erste Album The No Comprendo unerreicht blieb. Auch Variéty, ihr siebtes Studioalbum, beschreitet keine neuen Wege, so reduziert auf die klassische Dreifaltigkeit aus Gitarre, Bass und Schlagzeug kommt es daher. Zwölf unaufwendige, aber nach wie vor charmante Popsongs haben sie aufgenommen; Fred Chichin jetzt öfter an der akustischen Gitarre, Cathérine Ringers Gesang unverändert, auf Elektronik - das können andere mittlerweile besser - wurde ganz verzichtet. Es sind musikalische Momentaufnahmen persönlichen Erlebens, die sich das Paar gönnt, das in den letzten 20 Jahren auch drei Kinder aufgezogen hat. Beweisen müssen die beiden nichts mehr. Es reicht, wenn sie ab und zu auftauchen und ihre Fans dazu bringen, neben der neuen Platte auch mal wieder C'est comme ça aufzulegen. Jenny Mansch

CD, Warner


Miss Platnum: Chefa

Der Balkan boomt. Zumindest musikalisch. Hochzeitskapellen aus Rumänien begeistern das Publikum im Westen, und in den Metropolen tanzt das junge Clubvolk auf Balkan-Beats. Miss Platnum kam als kleines Mädchen aus Rumänien, war ihren geflohenen Eltern nach Deutschland nachgereist. Mit der Folklore ihrer Heimat hatte sie weniger am Hut, nahm stattdessen Gesangsunterricht bei der Jazz- und Soul-Sängerin Jocelyn B. Smith und landete bei den Produzenten der erfolgreichen Reggae-Big-Band Seeed. Die schneiderten der extravaganten Künstlerin nicht nur ein zeitgemäßes musikalisches Kostüm aus dicken Beats und fetten Bläsern, sondern gaben ihr auch das Selbstbewusstsein einer "Gypsy-Queen" zurück. Und so präsentiert sich Miss Platnum als Missy Elliot des wilden Ostens, überdreht das Klischee der zickigen aber souveränen, halbseidenen Zigeunerbraut, die es faustdick hinter den Ohren hat und sich von ihrem zukünftigen Prinzen höchstens mit Essen oder einem Auto locken lässt. Die charmante Selbstironie entfaltet sich aber nicht nur auf dem Debüt-Album, sondern live auf der Bühne - in der umwerfenden Show dieser neuen Balkan-Soul-Diva. Nicht verpassen! Vick CD, FOUR MUSIC / SONY BMG


Move against G 8

Die Vorbereitungen für die Proteste gegen den G8-Gipfel Anfang Juni in Heiligendamm gehen in die letzte Runde. Sogar an die richtigen Töne wurde dabei gedacht. Die Initiative "Move against G8", zu der sich Künstler und globalisierungskritische Gruppen zusammenschlossen, hat 19 angesagte Bands dazu bewegen können, bisher unveröffentlichte Songs für einen Solidaritäts-Sampler zur Verfügung zu stellen. Unter dem Label der Globalisierungskritik haben sich Bands zusammengefunden, die sonst musikalisch wenig Berührungspunkte haben. Die Spannweite reicht von den Toten Hosen, Wir sind Helden über Jan Delay bis zu Tomte, Blumfeld und Tocotronic. Damit hat die Initiative den Beweis erbracht, dass sich politisch engagierte Musiker längst nicht mehr nur in der Liedermachersparte finden lassen. "Wenn unsere Musik den Leuten einen Anreiz dafür bietet, nach Heiligendamm zu fahren, dann hat der Sampler seinen Zweck erfüllt", erklärt Mal Élevé von der Mannheimer Band Irie Revoltes. Ein Großteil der Künstler wird auch während der Aktionstage rund um Heiligendamm live auftreten, sie alle haben auf mögliche Gagen verzichtet. Nowa

CD-SAMPLER, 12 € IM PLATTENLADEN ODER UNTER WWW.MOVE-AGAINST-G8.DE