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Vom Wasser lernen

Fred Pearce: Wenn die Flüsse versiegen | Wasser und Globalisierung sind ein interessantes Paar. Leider gebären sie nicht unbedingt eine globale Vernunft, sondern lokale Feindseligkeiten und Naturkatastrophen: Wenn sich zwischen Israelis und Palästinensern unerklärte Wasserkriege um die Aquifere (natürliches Wasserreservoir) unter dem Westjordanland abspielen, wenn indische Bauern in großem Stil das Wasser aus ihren Reservoiren abzapfen und an Fabriken verkaufen, wenn man den Gelben Fluss nochmals stauen will und dafür Millionen Menschen umsiedelt, wenn die kalifornische Agrarindustrie den Colorado, die afghanischen Opiumbauern den Hilmand oder die Israelis aus Tel Aviv das Wasser des Jordan plündern - dann vor allem versiegen die Flüsse.

Der britische Wissenschaftsjournalist Fred Pearce bereist und erforscht die großen Flüsse der Welt - Amazonas, Colorado, Rio Grande, Gelber Fluss, Nil, Ganges. Dort erkundet er die "hydraulischen Gesellschaften", die mit Flussstauungen eher mittelfristig die Ökonomie, langfristig aber die Ökologie beeinflussen. Beispielhaft war die Neugestaltung des Industales (heute Pakistan) durch das britische Empire. Mit zahllosen Staustufen wurde im 19. Jahrhundert die traditionelle Landwirtschaft verdrängt und durch ein komplett neues Wirtschafts- und Sozialsystem ersetzt. Ein Musterfall für den globalisierten Zugriff auf die Flüsse, schließlich ging es - wie heute beim Aralsee in Usbekistan - um den Anbau von exportfähigen Produkten. Wasser kann auch abstrakt sein - im Kilo Kaffee etwa stecken 20000 Liter Wasser, Pearce nennt es virtuelles Wasser. Damit sind wir also direkt an der globalen Wasserverschwendung landwirtschaftlicher Monokulturen beteiligt. Schön, faszinierend und lehrreich ist das Wasser auch, besonders wenn es rückwärts fließt wie im Fluss Tonle Sap beim Mekong. Er bringt die laichenden Fische in die Wälder und zu den Hunderttausenden von Waldbewohnern auf schwimmenden Dörfern, ein ökologischer Jahreskreislauf, seit Jahrtausenden in das natürliche Wechselspiel der Fluten integriert.

Das globale Spektrum lokaler Alternativen ist groß: Tauteiche in England, uralte Kanaten für langsame Ableitungen aus den Bergen in Palästina oder Syrien, Monsunsammelteiche in Indien, Nebelfänger am Atlantik oder die dynamische Tropfenbewässerung. Pearce sieht da Impulse einer Blauen Revolution, die das "momentan gültige Paradigma des Privatbesitzes an Ressourcen" ablösen könnte - eine Wassermusik der Zukunft

MARTIN ZÄHRINGER

SACHBUCH, AUS DEM ENGLISCHEN VON GABRIELE GOCKEL UND BARBARA STECKHAN, KOLLEKTIV DRUCKREIF. VERLAG ANTJE KUNSTMANN 2007, 398 SEITEN, 24,90€


Michael Degen: Mein heiliges Land

Der Schauspieler Michael Degen bewährt sich mit diesem Buch zum zweiten Mal als Erzähler. Nach dem ersten Teil seiner Autobiographie Nicht alle waren Mörder (über seine Jahre im Untergrund während der Nazizeit) berichtet er nun von seiner Suche nach dem älteren Bruder, der schon früher nach Palästina auswanderte. Der Vater wurde ermordet, und die Mutter schickt Michael nach Israel. Der Bruder hat sich inzwischen verständlicherweise von Adolf zu Arié umbenannt und hilft dem Jüngeren, sich in dem neuen Staat mit seinen neuen Regeln zurechtzufinden und die fremde Sprache zu lernen. Denn Degen will unbedingt Schauspieler werden, und auch das schwierige Hebräisch kann ihn nicht aufhalten. Dumm ist nur, dass der deutsche Akzent beim Publikum nicht gut ankommt. Eine besonders wichtige und rührende Figur ist der hundertjährige, fromme und lebensweise Großonkel, der ein paar Jahre unterschlägt, weil er fürchtet, beim Erreichen des biblischen Alters sonst von Gott abberufen zu werden. Ein abenteuerliches und zu Herzen gehendes Buch. KLIX

ROWOHLT BERLIN, 2007, 315 SEITEN, 19,90 €


Heidi Rehn: Blutige Hände

Lohndumping, Belegschaftserpressung, Verarmung durch Arbeitslosigkeit, Streiks, prekäre Beschäftigung: Diese höchst aktuellen Probleme sind zwar lebendigstes 19. Jahrhundert, bislang aber kaum ein Thema für Krimis. Nun wählt die Münchner Historikerin Rehn in ihrem vierten Roman den vierwöchigen Streik von mehreren hundert Münchner Schneidergehilfen im April 1870 als Hintergrund für ihre Geschichte über den Mord an einem Nähmaschinenhändler, der standesgemäß mit einer Schneiderschere verübt wird. Der Fall ist zwar erfunden, das Milieu, der Streik, die Versammlungen und auch einige der auftretenden Arbeiterführer aber sind historisch belegt. Rehn schildert die miesen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Streikenden und ihrer Frauen und Kinder bis ins kleinste Detail authentisch. Während man die Ermittlungen des Polizeioffizianten Severin Thiel verfolgt und den Tuberkulosetod eines armen Schneidergesellen bedauert, lernt man eine Menge über die frühe Frauenbewegung, die Anfänge der Gewerkschaftsbewegung oder die bayerische Sozialdemokratie vor 135 Jahren. Bei manchen Reden der Arbeiterführer fühlt man sich ganz vertraut im Hier und Jetzt. U.L.

EMONS, 330 Seiten, 11 €