Es war ein Hick-Hack auf Kosten der Theater- und Orchesterbeschäftigten Thüringens. Ein Jahr wurden sie im Ungewissen über Kürzungen gelassen, jetzt gibt es klare Verhältnisse

Von Birgit Tragsdorf

Monika Helfensritter und Holger Dietz planen Aktionen

"Jetzt ist wieder Ruhe ins Haus eingekehrt, wir können uns wieder auf das Spielen konzentrieren." Und das ist ja das Hauptanliegen eines Theaters. Personalrat Holger Dietz vom Erfurter Theater schaut zurück auf das Hick-Hack des vergangenen Jahres. Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) lässt durch Kultusminister Jens Goebel (CDU) im Herbst 2006 die Kürzung des Kulturetats um zehn Millionen Euro verkünden. Flugs tauchen erste Gerüchte auf: Thüringen hat zu viele Orchester! Die Philharmonie Gotha-Suhl sei besonders bedroht, ebenso die Theater Weimar und Erfurt, die fusioniert werden sollten. Die kleinen Theater wie Eisenach bangen um ihre Existenz. Genaues weiß man nicht. Sieht fast so aus, als sei das auch gewollt: Chaos mit Methode.

Aufmerksamkeit erreichen

In dieser Situation treffen sich alle Betriebs- und Personalräte der Thüringer Theater und Orchester im Erfurter ver.di-Haus und besprechen mit der zuständigen ver.di-Sekretärin Monika Helfensritter, wie sie mit Protest Aufmerksamkeit erreichen können.

Die drastischen Sparpläne von Althaus machen bundesweit die Runde. Ende November organisieren die Kolleg/innen aus Erfurt eine Aufführung der 9. Sinfonie von Beethoven unter Mitwirkung von 160 Musikern und 120 Choristen aus ganz Deutschland. Das Erfurter Theater ist überfüllt, die Solidarität unter den Künstlern und der Bevölkerung ist groß. Denn es haben alle etwas zu verlieren.

Aber egal, wer sich gegen die Kürzungen wehrt und wie, die Staatsregierung schweigt. Keine Anfrage wird beantwortet, erhoffte Gesprächsangebote bleiben aus. Unter den Beschäftigten, ob Künstler oder Angestellte, kommt Unruhe auf. Im Kunstbereich regt sich auch ein wenig Verzweiflung. Durch das Nichtstun und das Hinhalten der Regierung bröckelt der Zusammenhalt. Einige Orchester und Theater suchen eigene Wege. Uneinigkeit entwickelt sich, auch innerhalb der Häuser und untereinander.

Immer wieder machen neue Gerüchte die Runde: Da solle abgebaut werden, diese Stellen wegfallen, jenes Haus werde geschlossen. Die Stimmung wird schlechter. Vom Erfurter Theater erzählt Holger Dietz, dass die Moral am Boden sei, die künstlerischen Leistungen aber nicht darunter leiden sollen. Auch in der Lokalpresse hatten die Erfurter wenig Rückenhalt. Auf der Bühne jubeln, und in der Garderobe drückt die Ungewissheit über die berufliche Zukunft. Ein Teufelskreis. Und ein schweigender Ministerpräsident schaut auf Gerangel und Unsicherheiten.

Erfurt steht zum Theater

In dieser Situation sucht Holger Dietz die Unterstützung der Kommunalpolitiker in Erfurt und erfährt, dass sie hinter ihrem Theater stehen. Denn die Erfurter hatten schon ihr Sprechtheater eingebüßt. Mit den Kollegen in Weimar bleiben sie weiter im Gespräch, auch wenn das Deutsche Nationaltheater nach separaten Lösungen sucht.

Bei allen Eigeninteressen der verschiedenen Kunsteinrichtungen ist den Betroffenen klar: Die vielschichtige Kunst- und Kulturlandschaft Thüringens wackelt, weil am finanziellen Gerüst gesägt wird. Besonders ärgerlich ist dabei, wie sich die Staatsregierung und einige regionale Politiker verhalten. Es sieht aus wie eine Inszenierung: Sie stehen an der Bande und schauen zu, wie auf dem Feld um die knapper werdenden Finanzen gerungen wird.

In Nordhausen beispielsweise bekennt sich die Stadt eindeutig zu ihrem Theater. Studenten, Eltern und Kindereinrichtungen machen mobil. Und der Stadtrat bewilligt die nötigen Mittel. In Eisenach sieht das anders aus, da zieht sich die Stadt zurück.

Dann wendet sich das ganze Theater um die Theater. Ministerpräsident Althaus nimmt die Kürzungen zurück, auf seinem Sparzettel bleiben zwei Millionen stehen. Weimar erhält den Status eines Staatstheaters, das Land ergänzt die Gelder für das Haus. Die Beschäftigten bleiben bei der vereinbarten Reduzierung von Gehältern und Gagen. Das Meininger Theater etabliert sich. Dagegen trifft es das Theater in Eisenach: Die Hälfte der Orchestermitglieder werden entlassen, die Verträge der Sängerinnen und Sänger nicht verlängert, im technischen Bereich und der Verwaltung werden Stellen gestrichen. Als Lichtblick bezeichnet der Eisenacher Betriebsrat Michael Reinhardt allein den Erhalt des Kinder- und Jugendtheaters und des Balletts.

Für das Erfurter Theater fasst Holger Dietz die Ergebnisse so zusammen: Bis 2012 muss keiner der 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Haus verlassen. Als Eigenbetrieb der Stadt sicherten die Stadträte die Finanzierung zu. Warum nun Ministerpräsident und Kultusminister ein Jahr lang diese Ungewissheit schürten, Künstler und Beschäftigte verunsicherten, das Publikum und die Wähler/innen brüskierten und fast einen kompletten Rückzug einleiteten, bleibt unbekannt.