Jetzt kann die Woche weitergehen: Der kleine Bruno wartet jeden Mittwochmorgen auf "seinen Müllmann" Thorsten Clemens

Sie nehmen mit, was andere nicht mehr haben wollen: die Müllwerker. Kann es Freude machen, den Dreck der Gesellschaft wegzuräumen? Unterwegs mit Kolonne 22 der Stadtreinigung Hamburg

"Dies ist das Highlight des Tages", sagt Thorsten Clemens leise und lässt das Müllauto hinter sich. Er geht durch den dunklen Garten, steigt zwei Stufen hoch zur Haustür, wo ihn ein Vater mit seinem kleinen Jungen auf dem Schoß erwartet. Beide sind in warme Jacken gehüllt und schauen verschlafen unter ihrem Regenschirm in den kalten Morgen. Der Müllmann kniet nieder und schüttelt dem Jungen die Hand. Der Vater lächelt. "Schön, dass Sie kommen. Jetzt kann die Woche weitergehen." Das Ritual spielt sich jeden Mittwochmorgen ab, in einer Einfamilienhaussiedlung in Niendorf. Dann nämlich kommen die Männer der Müllabfuhr, dann sammelt das weiße Auto mit den Blinklichtern und der drehenden Trommel den Müll ein, begeistert die Kinder, weckt die Langschläfer. Jede Woche sind es dieselben Menschen, die in ihre Gärten treten, die Mülltonnen rausholen und den Unrat in den Wagen kippen: Thorsten Clemens, Peter Wiza, Kai Geltmeier, Ralf Cassens, die Kolonne 22 der Stadtreinigung Hamburg, Region Nord-West. Sie nehmen mit, was die anderen nicht mehr haben wollen - schweigend und schnell. Müllmann ist niemand freiwillig. Es kann nicht sein, dass es Spaß macht, den Dreck der Gesellschaft wegzuräumen, das letzte Glied zu sein in der Konsumkette. Oder doch?

Peter Wiza sitzt in der warmen Fahrerkabine und beobachtet auf dem kleinen Bildschirm neben dem Lenkrad die Arbeit seiner Kollegen. Es ist noch immer dunkel draußen, das Fahren kostet Konzentration. Meter für Meter schiebt sich das Müllauto durch die schmalen Straßen, stoppt, lässt seine Trommel kreisen, wird beim Leeren der Tonnen durchgeschüttelt. Der Fahrer drückt Knöpfe, gibt Gas, hält an, weiß auf die Sekunde genau, wann seine Kollegen fertig sind. Es ist ein eingespieltes Team, die Handgriffe sitzen, alles geht schnell. Jeder hat seine feste Aufgabe: Geltmeier geht vor und holt die Mülleimer aus den Gärten, Cassens zieht sie auf die Straße, hängt die Tonnen an die Vorrichtung und kippt den Inhalt in den Wagen. Clemens bringt die leeren Tonnen in die Boxen zurück.

Es kann ein Traumjob sein

Jedes Haus, jeder Garten hat seine eigene Logik, doch Clemens weiß, wo seine Tonnen stehen. Er ist hier jede Woche. Seit Jahren. "Eigentlich ist es eine langweilige Arbeit. Doch es ist mein Traumjob." Schon als kleiner Junge wollte der heute 42-Jährige Müllmann werden - wie sein Vater. Er mag es, an der frischen Luft zu sein, sich zu bewegen und mit Menschen Kontakt zu haben. Ursprünglich lernte er Maurer. Vor 20 Jahren verschaffte ihm sein Vater eine Zeitarbeitsstelle bei der "Mülle"; Thorsten Clemens blieb. "Ich hatte Glück. Eine feste Anstellung erhalten heute nur wenige." Clemens sammelt an einer Bushaltestelle abgefackelte Kartons ein. "Das ist zwar Schweinkram. Aber das macht ja sonst keiner." Ein paar Handgriffe, und die Haltestelle ist wieder sauber. Der Vorarbeiter schwingt sich auf den kleinen Absatz neben der Kippvorrichtung, das Müllauto fährt in die nächste Straße.

Es ist ein harter Job. Auf der Tour durch Niendorf gehen die "Auflader" zwölf Kilometer zu Fuß, das Müllauto legt 80 Kilometer zurück. Clemens ist seit vier Uhr wach, kurz nach fünf war er auf dem Betriebsplatz Offakamp. Er begann den Tag mit Zeitunglesen und Kaffeetrinken in der hell erleuchteten Kantine. Der offizielle Arbeitsbeginn war um sechs. 200 Straßenfeger und Müllmänner fuhren in der Dunkelheit los, um 16 Hamburger Stadtbezirke zu reinigen. In einer Woche leeren die 150 Müllmänner der Stadtreinigung Region Nord-West 87000 Gefäße, beseitigen den Müll von 368000 Menschen. Tun sie ihre Arbeit nicht, sieht es schnell chaotisch aus: Im Januar 2006 streikte die Hamburger Müllabfuhr zwei Wochen lang. Der Abfall türmte sich an den Straßenecken, Ratten und Mäuse sprangen aus den Haufen. Auch Thorsten Clemens streikte damals gegen eine Verlängerung der Arbeitszeit. Obwohl er unzufrieden war mit dem Resultat des Streiks, ist er wie die meisten seiner Kollegen trotzdem Mitglied bei ver.di. "Als ich das erste Mal streikte, 1989, war ich noch nicht Mitglied einer Gewerkschaft. Ich war zu stolz dafür." Doch die Lohneinbußen gingen ans Eingemachte, und so trat Clemens kurz darauf der ÖTV bei - um Geld zu bekommen bei einem nächsten Streik. Aber auch aus Überzeugung. "Irgendjemand muss ja für uns kämpfen." Gekämpft wird wieder Anfang des Jahres, dann stehen die nächsten Tarifverhandlungen an. Doch Clemens ist etwas resigniert: "Was wir haben möchten, und das, was wir kriegen werden, liegt Welten auseinander."

Bei jedem Wetter draußen: die Männer von der Kolonne 22

Eine Kolonne ist wie eine Ehe

Thorsten Clemens geht die Straße entlang, verstaut Container um Container, Tonne um Tonne. Sein Gang ist aufrecht, wirkt stolz, die Kapuze seiner Warn- jacke hängt lässig im Nacken. "Wir wollen ein Vorzeigebezirk sein. Immer sauber, immer freundlich. Der Kunde ist König." Eine Frau kommt aus der Haustür und geht auf den Vorarbeiter zu. Geplauder, dann gibt sie ihm eine Tüte Kekse. Später im Auto: "Hey Kai, guck mal auf das Ablaufdatum." Gelächter.

Nicht selten bekommen die Müllmänner Dinge geschenkt, die nicht mehr gebraucht werden. Fünf Zigaretten, abgelaufenen Türkischen Honig, ein Buch "Romantische Reise durch das alte Deutschland". Wirklich schätzen die Arbeiter, wenn die Leute ihnen im Sommer kalte Getränke und Eis bringen. Im nächsten Garten werden die Müllmänner freudig erwartet. Ein Husky-Mischling, blaue Augen, Schwanzwedeln. "Ich liebe Hunde", sagt Clemens und nimmt ein Leckerli aus der Tasche. Er kennt sie alle, sieht sie aufwachsen und alt werden, den sabbernden Boxer, den lahmen Schäferhund, den jungen Husky. Wenn es blinkt und lärmt und die Männer in den Warnkleidern kommen, warten sie am Gartenzaun, schwanzwedelnd und bellend, freuen sich auf Hundekuchen.

Um neun Uhr hat die Kolonne 22 elf Tonnen Müll gesammelt. Es ist Zeit, das Auto zu leeren. Die erste Pause für die drei Auflader. Sie frühstücken in der Bäckerei "Back-Eck" in Niendorf. Während die Kollegen essen, fährt Peter Wiza durch die halbe Stadt, unter der Elbe durch, ins Hafenviertel zur Müllverbrennungsanlage Rugendberger Damm. Nora Jones säuselt aus dem Radio. Wiza mag es, alleine zu sein. Er ist erst seit einem Jahr der Fahrer dieser Kolonne. Vorher hat er zehn Jahre lang in einem anderen Team gearbeitet. "Das ist wie in einer Ehe." Irgendwann gab es Meinungsverschiedenheiten, er wechselte die Kolonne. "Wenn es nicht mehr passt, muss man sich trennen." Im neuen Team fühlt er sich wohler.

Zeit für eine Tasse Kaffee: Peter Wiza in einem Backshop

Um 15 Uhr sind sie geschafft

Wiza ist seit 29 Jahren bei der Müllabfuhr. Sein Vater war Kraftwagenfahrer im selben Betrieb und verschaffte ihm den Job. "Zuerst hatte ich keinen Bock, ich wollte nicht das Gleiche machen wie mein Vater. Doch es war die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe. Ich habe sie nicht einen Tag lang bereut." Beim Eingang der Müllverbrennungsanlage wird das Müllauto gewogen, dann fährt Wiza eine Rampe hoch und rückwärts an eine Luke. Die Trommel dreht sich jetzt in die andere Richtung, der Müll wird rausgeschaufelt und fällt in eine große Mulde. Ein mächtiger Greifarm krallt sich den Abfall und befördert ihn in den Ofen.

Nach einer Stunde ist das Fahrzeug zurück in Niendorf, die Kollegen steigen hinter Wiza auf die Rückbank. Es riecht nach Aftershave und Handcreme. Schmutzig sind nur die weißen Handschuhe, die beim Schieben der Container getragen werden. Das Auto fährt an kleinen Häusern vorbei. Immer wieder Erker, Überwachungskameras, HSV-Flaggen und gestutzte Rasen. "Hach, das ist eine schöne Gegend", sagt Clemens. "Doch das ist nicht mein Budget." Er lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in einer 85 Quadratmeter großen Wohnung in Elmshorn. Aber nicht mehr lange. Er träumt von einem Einfamilienhaus mit Garten. Bald soll es soweit sein.

Auf dem Weg zur nächsten Siedlung fährt die Kolonne an einer Schule vorbei. "Passt mal auf, sonst werdet ihr noch Müllmänner", ruft Kai Geltmeier. "Wer nichts will und wer nichts kann, der fängt bei der Mülle an." Die Männer lachen. Geltmeier ist der Jüngste des Teams, 29 Jahre alt und seit neun Jahren bei der Müllabfuhr. "Es gibt Schlimmeres als diese Arbeit", sagt er. Maler zu sein etwa. Diesen Beruf hat Geltmeier ursprünglich gelernt. Sein Vater arbeitet ebenfalls als Müllmann, seit 29 Jahren schon.

Raus aus dem Wagen, Tonnen kippen, rauf auf den Wagen. Müll bekommen die Männer selten zu sehen. Dank der Kälte riecht es auch nicht schlecht. Doch die Arbeit ist körperlich anstrengend. Um 15 Uhr sind die Männer geschafft und freuen sich, den letzten Container gekippt zu haben. Sie gönnen sich einen Kaffee an der Bäckereitheke eines Supermarktes. Plötzlich steht ein Mann mit seinem Kind neben ihnen. "Guck mal Bruno, das ist dein Müllmann." Thorsten Clemens dreht sich um. "Das ist doch der Kleine von heute morgen!"

Erstmals dauert die Begegnung von Müllmann, Vater und Sohn länger als ein paar Sekunden. "Wir warten jeden Mittwoch auf Sie", sagt der Vater, "immer, wenn wir das Müllauto hören, stellen wir uns in die Tür, um Hallo zu sagen." Clemens nimmt den Jungen auf den Arm und zeigt ihm das Müllauto. "Hallo Müllmann", mehr sagt der Kleine nicht. Doch der Vater strahlt. "Sie müssen wissen, Sie sind sein Held", sagt er, verabschiedet sich und verlässt den Laden. Sie werden sich wieder sehen, in einer Woche, im Dunkeln. Ein paar Sekunden lang.

Szenen einer Arbeit: Vorarbeiter Thorsten Clemens und Fahrer Peter Wiza unterwegs mit ihrer Kolonne in Hamburg-Niendorf

Müllwerker unter Druck

Die Arbeitsbedingungen der insgesamt 167000 Beschäftigten in der Abfallwirtschaft verschlechtern sich derzeit massiv. Ein Grund ist die laufende Privatisierung von kommunalen Entsorgungsunternehmen mit ihren 83000 Beschäftigten. In Städten wie Leipzig, Lübeck, Mannheim oder Stuttgart soll es Privatisierungspläne geben. In zehn Städten jedoch erfolgte auch schon eine Rekommunalisierung der Entsorgungsbetriebe. "Private sind nicht immer besser und billiger", betont Erich Mendroch, Fachgruppenleiter Abfallwirtschaft bei ver.di. Städte hätten in eigenen Betrieben mehr Gestaltungsfreiheit und könnten kontrollieren, dass die Arbeitsplätze und Finanzströme in der Region bleiben. Ein Müllwerker verdient im Schnitt 1900 Euro brutto. Doch nur noch ein Drittel der privaten Unternehmen hält die Tariflöhne ein, der Rest drückt sie um bis zu 30 Prozent. Damit wieder mehr Unternehmen dem Arbeitgeberverband beitreten, will der Bundesverband der deutschen Entsorgungswirtschaft die Tariflöhne um mehr als 20 Prozent senken. Im Öffentlichen Dienst beginnt die neue Tarifrunde Anfang 2008. "Die Beschäftigten der kommunalen Unternehmen erwarten deutliche Einkommensverbesserungen", sagt Mendroch.