Ausgabe 12/2007
Den Profiteuren ist kein Mittel zu schäbig
Frank Bsirske
Unter welchem Aspekt man es auch betrachtet, es ist ein Skandal - menschlich, politisch, gesellschaftlich: das System Hungerlöhne. Landauf, landab gehen Menschen ihrer Arbeit nach, oftmals mehr als 40 Stunden die Woche und können ihre Familien trotzdem von ihrem Lohn nicht ernähren. Sondern sie müssen aufs Amt und zu ihrem Niedriglohn Hartz IV beantragen. Hilfsbedürftig trotz Vollzeitarbeit. Eine Art moderner Sklavenhandel, ein Verstoß gegen die Würde der Menschen. Menschlich-moralisch nicht hinnehmbar. Überdies ein politischer und gesellschaftlicher Skandal, weil das System Hungerlöhne hunderttausenden von Menschen die gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe verwehrt. Von Bildungschancen ganz zu schweigen. Dafür reichen die staatlich aufgestockten Niedrigstlöhne nicht. Die demokratische Gesellschaft kann das nicht wollen - und sie will es auch nicht, das haben seriöse Umfragen in der Bevölkerung eindrucksvoll belegt.
Es ist nur allzu durchsichtig, was hier geschieht: Private Unternehmen plündern die Sozialkassen. Die Niedriglöhne bringen ihnen den Profit und die Wettbewerbsvorteile, und der Staat und seine Steuerzahler legen drauf, was den Beschäftigten am Existenzminimum fehlt. Wer also von "Hartz IV-Profiteuren" spricht, der soll auch sagen, wer da profitiert, nämlich Unternehmen wie die private Zustellfirma Pin AG mit dem Springer-Konzern als Mehrheitseigner im Rücken. Diesen Profiteuren war in den vergangenen Wochen kein Mittel zu schäbig, um den tariflichen Mindestlohn für Briefzusteller doch noch zu verhindern: massive Bedrohungen der unterbezahlten Beschäftigten mit Massenentlassungen und ein unverhohlener Druck auf die Politik. Dass der tarifliche Mindestlohn für Briefzusteller dennoch durchgesetzt werden konnte, ist nicht nur ein großer Erfolg für ver.di. Es ist ein Erfolg für die demokratische Gesellschaft, die eben doch nicht alles hinnimmt, was in Konzernzentralen ausgeheckt wird.
Der tarifliche Mindestlohn für Briefzusteller ist jedoch nur ein erster Erfolg, wenn auch ein großer. Das System Hungerlöhne hat sich längst in viele andere Branchen hineingefressen. Die Zahl der Menschen, deren Lohn trotz Vollzeitarbeit zum Leben nicht reicht, hat sich in den vergangenen zwei Jahren mehr als verdoppelt. Das können und werden wir nicht akzeptieren. Wenn das System Hungerlöhne immer mehr Menschen in die Hilfsbedürftigkeit treibt, brauchen wir ein Auffangnetz nach unten: den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von zunächst 7,50 Euro als Einstiegsniveau. Darunter geht mit ver.di nichts.