Neue Arbeitsrechte und zugleich neue Repressionen in China

Vor Schichtbeginn: Minenarbeiter in Datong

Das Bild von einem Mann in einer Blutlache ging Ende November durchs Internet. Der 34-jährige Arbeitsaktivist Huang Qingnan war auf offener Straße in Shenzhen von zwei Unbekannten mit Messern lebensgefährlich verletzt worden. Zuvor hatten Schlägertrupps das kleine Dagongzhe-Arbeiterzentrum, in dem Huang Wanderarbeiter/innen über ihre Rechte informierte, zweimal überfallen.

Das Bild im Internet war ein Signal. Statt aus Furcht vor weiteren Repressionen zu schweigen, baten die Arbeitsaktivisten aus dem Perlflussdelta, der Hochburg der chinesischen Exportindustrie, erstmals die chinesische und internationale Öffentlichkeit um Unterstützung.

Hintergrund für die mutige Veröffentlichung wie für die brutalen Attacken ist das neue Arbeitsvertragsgesetz, das am 1. Januar in China in Kraft getreten ist. Nach dem neuen Gesetz haben alle Beschäftigten ein Anrecht auf einen schriftlichen Vertrag, auf einen unbefristeten Vertrag nach zwei Zeitverträgen und auf eine Entschädigung bei Entlassung. Mit dem Gesetz reagierte die Regierung auf immer häufigere Proteste der Arbeiter gegen Lohnrückstände, Unfälle, Gesundheitsschäden und Managementschikanen.

Praxis von Heuern und Feuern wird schwieriger

"Wird am 1. Januar alles anders?" fragten aufgeregt ausländische Unternehmen, als die chinesische Regierung den Entwurf für das neue Gesetz zur öffentlichen Diskussion vorlegte. Tatsächlich würden die Neuregelungen den bisherigen flexiblen und vertraglich nicht geregelten Beschäftigungsverhältnissen mit vielen unbezahlten Überstunden einen Riegel vorschieben. Die Praxis von "Heuern und Feuern" je nach Auftragslage war jedoch ein wichtiger Grund für den Boom der arbeitsintensiven Exportindustrien, für Produktionsverlagerungen nach China und Investitionen ausländischer Unternehmen. Innerhalb eines Monats gingen 192000 Kommentare des Gesetzes bei der Regierung ein. Taiwanesische Investoren klagten prompt, höhere Produktionskosten könnten sie nicht verkraften. Die EU-Handelskammer in China als Vertretung von über 800 Firmen aus der EU behauptete, sie brauche "Flexibilität" und keine staatliche "Überregulierung". Ihr Präsident warnte, dass steigende Kosten "ausländische Unternehmen zwingen könnten, neue Investitionen zu überdenken".

Chinesische Firmen griffen zur vorbeugenden Selbsthilfe. So bot Huawei Technologies, der größte Hersteller von Kommunikationstechnologie, 7000 seiner Langzeitbeschäftigten Abfindungen an, wenn sie kündigen und sich dann mit neuem Zeitvertrag wieder einstellen lassen würden. Andere Unternehmen drohten, die Produktion nach Vietnam oder von der Küste ins Landesinnere zu verlagern, wo die Kosten nur halb so hoch sind.

Die öffentliche Debatte und die Informationsarbeit der Arbeitsaktivisten schärften das Rechtsbewusstsein vieler Beschäftigter oder schufen es überhaupt erst. Das bestärkte sie darin, ihre wilden Streiks und spontanen Aufstände öffentlich zu machen. Aufgebrachte Arbeiter/innen blockierten Straßen, um Aufmerksamkeit zu erregen und die zuständigen Behörden zu zwingen, sich mit ihren Problemen zu beschäftigen. Die lokalen Arbeitsaktivist /innen unterstützten die Wanderarbeiter/innen außerhalb der Betriebe und der Einheitsgewerkschaft dabei, beim Arbeitsamt oder gar vor Gericht ihre Rechte einzuklagen.

Staatsorgan Gewerkschaft

Sie vertrauen nicht darauf, dass der chinesische Gewerkschaftsbund oder die lokalen Arbeitsämter für die Umsetzung des neuen Gesetzes sorgen. Denn die Einheitsgewerkschaft ist keine Interessenvertretung der Arbeiter/innen, sondern ein Staatsorgan, das als "Brücke zwischen Beschäftigten und Management" vor allem Produktivitäts- und Qualitätssteigerung durchsetzen soll. Das Hauptinteresse der Provinz- und Stadtverwaltungen richtet sich auf Investitionen in ihre Distrikte, damit sie hohe Beschäftigungs- und Wachstumszahlen vorweisen können. Wer immer Arbeitsaktivist/innen wie Huang Qingnan einschüchtern oder gar ausschalten will, will nicht nur die Umsetzung des neuen Arbeitsgesetzes aufhalten, sondern auch verhindern, dass die Arbeitnehmer/innen eigene Verhandlungsmacht aufbauen.