Ausgabe 05/2008
Die Perspektive des Südens
Bernhard Emunds ist Sozialethiker und Leiter des Oswald-von-Nell- Breuning-Instituts
Die Bilder von den Protesten der Armen in Haiti, Burkina Faso, Kamerun und Ägypten gegen steigende Nahrungsmittelpreise haben uns in diesem Frühjahr etwas bewusst gemacht, was wir gerne verdrängen: Permanent leiden auf dieser Erde zwischen 800 und 900 Millionen Menschen Hunger.
Für den aktuellen Preisauftrieb bei Lebensmitteln werden zumeist der steigende Bedarf an Futtermitteln wegen des zunehmenden Fleischkonsums in den wirtschaftlich erfolgreichen Schwellenländern Asiens und die verstärkte Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für den Anbau von Bio-Treibstoffen
verantwortlich gemacht. Allerdings ist der Anstieg der Nachfrage nach Agrarprodukten nicht das eigentliche Problem. Schließlich bedeutet er ja auch, dass die Einkommenschancen für Landwirte und für landwirtschaftlich orientierte Länder steigen. Die entscheidende Frage ist vielmehr, warum der Nachfrage in vielen Regionen dieser Erde - auch unabhängig von der aktuellen Verknappung - nicht ein höheres Angebot an Nahrungsmitteln gegenübersteht.
Das Angebot ist vor allem deshalb nicht größer, weil die Kleinbauern in abgelegenen Regionen vieler Entwicklungsländer sehr viel weniger produzieren als prinzipiell möglich wäre. Neben den
Landwirten aus den Industrieländern kommt deshalb als Anbieter vor allem das internationale Agrobusiness zum Zuge. Als Grund für die Probleme der Kleinbauern in den Entwicklungsländern werden vor allem die Subventionen der EU, der USA und anderer Regierungen des Nordens für die Bauern ihrer Länder genannt. Diese Subventionen sind sehr hoch und zumeist an die von den Bauern bereitgestellten Mengen geknüpft; zum Teil wird auch direkt der Export von Nahrungsmitteln subventioniert. Das Ergebnis ist, dass die Märkte in vielen Entwicklungsländern von Agrarprodukten aus den Industrieländern überschwemmt werden. Aufgrund der Subventionen werden sie zu Niedrigstpreisen angeboten, die weit unter den Kosten liegen, zu denen die heimischen Bauern sie bereitstellen könnten. Das ist natürlich eine Riesenschweinerei.
Und trotzdem geht es nicht einfach nur um eine internationale Liberalisierung. Schließlich haben zahlreiche Entwicklungsländer dem Druck des IWF und der Weltbank nachgegeben und auf landwirtschaftliche Monokulturen gesetzt, um durch Exporte Devisen zu erwirtschaften. Auf großen Flächen werden mit viel chemischen Düngemitteln und Pestiziden Tee, Kaffee, exotische Früchte und Getreide für den Weltmarkt angebaut. Das Land und der ökologische Freiraum für den Anbau von Grundnahrungsmitteln, mit dem die Kleinbauern die Bedürfnisse der heimischen Bevölkerung abdecken könnten, werden so immer geringer. Und schließlich wurde in der Entwicklungspolitik die Entwicklung der agrarisch geprägten Regionen in den Ländern des Südens über Jahrzehnte sträflich vernachlässigt. So wurden zu wenig Ressourcen in die Entwicklung besserer landwirtschaftlicher Methoden gesteckt, zu wenig in die Weiterbildung der Kleinbauern, in die Verbesserung ländlicher Infrastruktur und in eine flächendeckende Versorgung mit Kleinstkrediten, auf welche die Bauern angewiesen sind, um in produktivere Anbautechniken und in bessere Wege der Vermarktung investieren zu können.
Eine globale Liberalisierung der Märkte für landwirtschaftliche Produkte würde vor allem dem internationalen Agrobusiness nützen; mit den industrialisierten Anbaumethoden seiner Großbetriebe hätte es bei allseits offenen Märkten noch höhere Gewinnchancen. Dagegen würde der Freiraum für eine ländliche Entwicklung, die bei den Bedürfnissen der Kleinbauern und der übrigen Landbevölkerung ansetzt und ihre wirtschaftlichen Chancen Schritt für Schritt verbessert, immer weiter eingeengt.
So bedarf es auf weltwirtschaftlicher Ebene zweier Korrekturen: Erstens sollten die Agrarsubventionen in den Industrieländern umgebaut werden, weg von der mengenbezogenen Förderung hin zur Förderung ökologischer und sozialer Zusatzfunktionen der Landwirtschaft (z.B. Umwelt- und Landschaftsschutz, regionale Vermarktung von Produkten). Und zweitens müssen in den Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO) allen ärmeren Ländern mehr Möglichkeiten eingeräumt werden, ihre Kleinbauern vor ausländischer Konkurrenz zu schützen und ihre wirtschaftliche Entwicklung mit Beihilfen zu fördern. Auf diese Weise könnten von der Weltwirtschaft her die Chancen vieler Länder erhöht werden, für eine gute ländliche Entwicklung zu sorgen. Dann verbesserten sich die Lebensperspektiven der Kleinbauern. Und zugleich würde das Risiko reduziert, dass es zu Versorgungsengpässen oder zu einem rapiden Preisanstieg bei Lebensmitteln kommt.
Permanent leiden auf dieser Erde zwischen 800 und 900 Millionen Menschen Hunger