Das erste Mal dabei beim Streik - drei Kolleginnen und ein Kollege aus vier Branchen erzählen

Mit vielen gemeinsam streikt sich's besser: Warnstreik bei der kommunalen Ver- und Entsorgung im Februar 2008 in München

von heinrich birner und ernst edhofer

In den Medien immer wieder ver.di-Fahnen, Streikwesten, Trillerpfeifen. Ob im öffentlichen Dienst, beim Einzelhandel, der Post oder in anderen Berufszweigen: Beschäftigte sehen sich immer öfter gezwungen, für ihre Forderungen auf die Straße zu gehen und zu streiken. Mit drei Kolleginnen und einem Kollegen aus der Region München, die ihre ersten Streikerfahrungen gemacht haben, unterhielten sich für ver.di PUBLIK Heinrich Birner und Ernst Edhofer.

Janina Lachner spricht nicht nur deswegen sehr schnell, weil sie am Interviewtag noch Geburtstagsgäste hat. Sie sprüht regelrecht vor Energie und ist voller Tatendrang. 28 Jahre ist sie alt und seit acht Jahren Kinderpflegerin. Sie mag ihren Beruf und sie mag die Kinder. Dennoch hat sie in diesem Frühjahr zweimal einen ganzen Tag lang gestreikt.

"Wir wollen alle was verändern, bessere Voraussetzungen für unseren Beruf schaffen. Wir wollen nicht die sozialen Deppen sein", sagt sie. "Deshalb kämpfen wir für eine höhere Bezahlung und für mehr Anerkennung. Wenn nicht jetzt, wann dann?"

"Wir waren doch abgesichert durch ver.di"

Sie betont das "Wir". In ihrer Einrichtung am Kolumbusplatz werden 186 Kinder von rund 30 Beschäftigten betreut. Kindertagesstätte, Kinderkrippe und Hort sind dort unter einem Dach. Gute Voraussetzungen für kollektive Gegenwehr. "An beiden Streiktagen war unser Haus komplett geschlossen", sagt Janina. "Alle Berufsgruppen, Kinderpflegerinnen, Erzieherinnen, Küchenkräfte und auch die Leiterinnen sind in den Streik getreten. Sogar die Unorganisierten haben mitgestreikt."

Hatte sie Bedenken bei ihrem allerersten Streik? "Nein, ich hatte keine Angst. Wir waren doch abgesichert durch ver.di. Was sollten sie uns denn anhaben?" In die Gewerkschaft eingetreten ist Janina Lachner im Januar 2008 und sie macht auch jetzt nach dem Tarifabschluss weiter und engagiert sich mit ver.di.

Was hat sie besonders gefreut? "Das wahnsinnig tolle Gefühl, dass wir bei den Kundgebungen in Riem und am Marienplatz so viele Leute waren." Und was hat sie geärgert? "Viele Kolleginnen sind nach der Mitgliederbefragung wieder in den Alltagstrott zurückgefallen. Die Euphorie ist abgeflaut. Dabei müssen wir doch weitermachen. Jetzt geht es um unsere Eingruppierung. Und wenn es uns gelingen sollte, zu einer wöchentlichen Arbeitszeitverkürzung von einer halben Stunde zu kommen, dann wäre das super."

Der Postzusteller David Merck (33) hat eine Mutprobe bestanden. Am 1. April war er zum ersten Mal bei einem Streik dabei. Früher, als er in Berlin in einem Laden Nähzeug verkaufte, hatte er mit Gewerkschaft nichts am Hut. Seit neun Jahren ist er nun bei der Post in München und engagiert sich auch als Vertrauensmann für ver.di: "Zustellen liebe ich, Regen macht mir nichts aus. Aber der Lohn und die Arbeitszeit müssen auch passen."

Das Verhältnis Leistung und Gegenleistung stimmt nicht mehr, meint David. Er arbeitet 38,5 Stunden pro Woche und bekommt dafür 1200 Euro netto. Mit einem Nebenjob hält er sich finanziell über Wasser. "Die Leistungsschraube wird immer stärker angedreht. Wir müssen immer mehr Sendungen zustellen, manchmal bis sechs Uhr abends. An Samstagen muss ich das Fahrrad oft sechsmal neu beladen."

"Es hat mich gefreut, dass alle mitgemacht haben", sagt David, "auch manche, die sonst gerne auf die Gewerkschaft schimpfen. Auch die haben begriffen, dass die Gewerkschaft uns Kraft gibt, damit wir uns wehren können."

Ein bisschen mulmig war ihm am Anfang schon zumute: "Es ist beruhigend, dass keinem wegen der Streikteilnahme gekündigt werden kann. Aber Mut gehört dennoch dazu." Den hat er sich gemacht: "Meine Angst davor, was kommt, wenn man nichts tut, war größer, als die Angst davor, was zu tun. Je mehr mitmachen, desto besser ist der Einzelne geschützt."

Die Streikbereitschaft bei den Postlern sei besonders groß, seit es gelungen ist, den Mindestlohn durchzusetzen und Änderungskündigungen der Verteilerinnen abzuwenden. Seither seien die Beschäftigten beeindruckt, was alles mit Hilfe der Gewerkschaft erreicht werden kann. "Da merkt man: Das sind keine Schwätzer, sondern Kämpfer."

Anna Repina (28) ist Kassiererin im Modegeschäft Zara. Sie hat einen Teilzeitvertrag mit 30 Stunden. 75 Beschäftigte arbeiten in der Filiale in der Kaufinger Straße. Seit 2006 gibt es dort einen Betriebsrat. Anna war von Anfang an dabei, inzwischen ist sie Betriebsratsvorsitzende. Geboren ist sie in Russland. Seit fünf Jahren lebt sie erst in Deutschland und spricht dennoch akzentfrei deutsch. Sie hat Sprachen studiert; ihr Abschluss wird allerdings in Deutschland nicht anerkannt.

Ende Februar hat sich die Zara-Filiale am Streik im Einzelhandel beteiligt. 30 Prozent der Frühschicht sind dem Streikaufruf gefolgt. Der erste Streik in Annas Leben. "Für mich war das nicht so dramatisch," sagt sie. "Ich weiß, wie ich mich wehren kann. Trotzdem war ich froh, dass ich nicht alleine draußen stand. Ich habe aber schon gespürt, dass meine Kolleginnen und Kollegen anfangs Angst hatten. Dann konnte ich sehen, wie sie mutiger und mutiger wurden."

"Wenn wir uns nicht wehren, ändert sich nichts"

Was hat sie am meisten beeindruckt? "Nach der Versammlung mit den vielen Streikenden aus den anderen Betrieben wollten meine Kolleginnen und Kollegen mit einem Transparent zurück zur Filiale, um dort ein Foto zu machen und sich den Kunden zu zeigen." Und was war unangenehm? "Das Wetter! Es hat durchgehend geregnet und es war richtig kalt." Beim nächsten Streik wird sie wieder dabei sein. "Weil es richtig ist, sich zu wehren!"

Isabelle Strigl (19) lernt Krankenpflegerin an der Krankenpflegeschule in Haar. Sie ist im dritten Ausbildungsjahr. Die Beschäftigten des Isar-Amper-Klinikums in Haar beteiligten sich im Frühjahr engagiert an den Warnstreiks im öffentlichen Dienst. Erstmals legten auch die Auszubildenden die Arbeit nieder. Prompt gab es Ärger. Der Schulleiter meinte, die Krankenpflegeschüler dürften nicht streiken, weil sie keine Auszubildenden, sondern Schüler seien. Die Lehrer drohten mit Verwarnungen, Verweisen und schlechten Noten (!). Dabei gibt es einen eigenen Tarifvertrag für die Auszubildenden, der auch für die Krankenpflegeschüler/innen gilt. Und genau über den wurde verhandelt.

Es war kalt und nass am ersten Streiktag. Die ver.di-Jugend machte mit ihren Trillerpfeifen vor der Einrichtung kräftig Lärm. Ziel war, die einzelnen Kurse zum Streik herauszuholen. Rund 50 der 180 Krankenpflegeschüler/innen folgten dem Aufruf. Unter ihnen Isa Strigl. Sie war gut vorbereitet. In den Tagen davor wurde sie von der Jugendstreikleitung intensiv über den Streik und die Streikrechte informiert. "Wenn wir uns nicht wehren, ändert sich nichts." Davon war sie überzeugt, deshalb stellte sie sich zu den Streikenden.

"Wir sind Auszubildende und haben ein Streikrecht"

Am Streiktag wäre Isa Strigl eigentlich im Praxiseinsatz auf der Station gewesen. "Ich hatte Sorge, dass es Stress auf der Station gibt, wenn wir streiken. Wir sind dort ja fest eingeplant. Um auf Nummer sicher zu gehen, haben die meisten von uns ihre Stationen informiert." Auf die Frage, wie sie sich bei ihrem ersten Streik gefühlt hat, antwortet sie: "Relativ sicher, weil der ganze Kurs da war. Wir sind untereinander befreundet. Das hat uns geholfen, uns gut getan."

Worüber hat sie sich gefreut? "Der gemeinschaftliche Zusammenhalt. Alle waren da und haben gezeigt, wir wollen Veränderung. Konkret wollten wir eine deutlich höhere Ausbildungsvergütung und eine Übernahmegarantie." Und was hat sie geärgert? "Ich habe mich aufgeregt, weil sich die Lehrer so aufgeführt und uns gedroht haben. Dabei waren wir doch im Recht. Wir sind Auszubildende und haben auch ein Streikrecht." Am Ende haben Isa und ihre Kolleg/innen eine Erhöhung der Ausbildungsvergütungen um 70 Euro durchgesetzt. Die Garantie zur Übernahme leider noch nicht.