Ausgabe 06/2008-07
Ein Betrieb geht in die Luft
Von Bernd Riexinger |100 Luftballons und Karten für den Gemeinderat
Beschäftigte des Jugendamtes protestieren gegen die geplante Ausgliederung der Kinderbetreuung
Der bereits Ende letzten Jahres vom Stuttgarter Gemeinderat gefasste Beschluss, die Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsangebote des Jugendamtes in einen städtischen Eigenbetrieb auszugliedern, ist jetzt auf heftigen Widerstand bei den Beschäftigten gestoßen. Vor der geplanten Verabschiedung der Eigenbetriebssatzung, voraussichtlich im Juli, organisiert ver.di in enger Zusammenarbeit mit den Personalräten eine ganze Reihe von Aktionen gegen den Eigenbetrieb.
Kindern die Zukunft
Gestartet wurde mit zwei Protestaktionen im Anschluss an Personalversammlungen. Insgesamt mehrere hundert Beschäftigte versammelten sich auf dem Marktplatz beziehungsweise auf dem Schlossplatz und ließen dort symbolisch 100 Luftballons in die Luft gehen. An diese waren Karten gebunden mit der Aufschrift "Kindern die Zukunft - Nein zur Bildung des Eigenbetriebes Kindertagesstätten - Ja zur Bildung für Kinder". Die Aktionen bildeten den Auftakt für eine Postkartenaktion, die an die Fraktionen der CDU und der Grünen im Stuttgarter Gemeinderat gerichtet ist. Die Unterzeichner/innen unterstützen mit ihrer Unterschrift den Erhalt der integrierten Kinder- und Jugendhilfe in Stuttgart. Sie lehnen die Gründung eines Eigenbetriebes Bildung und Betreuung ab.
Neue Wege mit Einstein
Der Personalratsvorsitzende Martin Agster kritisiert den Beschluss des Stuttgarter Gemeinderats heftig. Die Qualität der Kinderbetreuung in Stuttgart sei bundesweit vorbildlich. Er könne nicht verstehen, dass diese Betreuung jetzt mit einer völlig unnötigen Strukturveränderung belastet wird. In der Tat bildet Stuttgart im Bereich der Kinder- und Jugendbetreuung eine positive Vorreiterrolle im Bundesgebiet. Mit dem Projekt "Einstein" wurden völlig neue Wege gegangen, die bei Eltern, Kindern und Erzieher/innen großen Anklang finden.
Völlig überraschend kam daher die Initiative von CDU und Grünen, das Amt zu zerschlagen und die Kinder- und Jugendbetreuung auszugliedern. Beschäftigte und Eltern wurden völlig überfahren. Mit ihnen fand bis heute keinerlei Diskussion statt. Die Grünen, die das Stuttgarter Großprojekt Stuttgart 21 mit einem Bürgerentscheid zu Fall bringen wollen, kritisieren zu Recht, dass die Mehrheit des Stuttgarter Gemeinderats sich demokratiefeindlich verhält. Umso unverständlicher, dass sie in Sachen Jugendamt genau das Gleiche machen, Unterschriftensammlungen von Beschäftigten, Kritik der Personalvertretung und auch von Eltern einfach negieren und die Sache mit den bürgerlichen Parteien im Gemeinderat durchziehen.
Bisher ist kein einziges vernünftiges Argument für die Ausgliederung auf den Tisch gekommen. Auch die Amtsleitung lehnt dieses Projekt ab. Die Beschäftigten befürchten eine stärkere wirtschaftliche Orientierung, die bei der Kindererziehung nichts verloren hat, die Belastung mit unnötigen Strukturveränderungen und längerfristig die Erleichterung von Privatisierungsmaßnahmen, die ver.di, Beschäftigte und Personalvertretungen einhellig ablehnen.
Die Erfahrungen in Stuttgart haben gezeigt, dass bis zum letzten Augenblick noch die Chance besteht, diesen Unsinn zu verhindern. Wichtig ist, dass sich Eltern, Beschäftigte und andere Bündnispartner lautstark be- merkbar machen. Und das wird in den nächsten Wochen und Monaten auch passieren.