Warum die elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten eine demokratische Ordnung erfordern

Guck mal, wer da guckt - nach deinen Daten

von PETRA GROLL

Kaum eine Woche, ohne dass ein Missbrauch von persönlichen Angaben und Daten von Kunden und Verbrauchern aufgeflogen wäre. Namen und Adressen der gesamten deutschen Bevölkerung seien in Kreisen der Werbebranche im Umlauf, hieß es etwa beim Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz in Schleswig-Holstein. Mal war ein Lotterie-Unternehmen beteiligt, mal eine Stelle der Telekom, dann ein Tochterunternehmen des Medienriesen Bertelsmann - aber auch verschiedene Städte sollen nach Presseberichten ihre klammen Kassen mit dem Verkauf von Daten aus Melderegistern aufgebessert haben. Banken und Sparkassen verzeichnen immer häufiger illegale Konto-Abbuchungen, von ungebetenen Anrufen aus Call-Centern können die meisten Bürger ein Lied singen. Ins Schwitzen kommen vielleicht auch Beate-Uhse-Kunden: Mehr als Tausend E-Mail-Adressen von Teilnehmern eines Gewinnspiels beim Sex-Versand waren ins Netz geraten und zeitweise für andere Internetnutzer einsehbar, berichtete dieser Tage die Welt.

Politik unter Druck

Als erste Reaktion kam Anfang September ein so genannter Datengipfel bei Bundesinnenminister Schäuble (CDU) überein, den Datenschutz zu verbessern. Die Weitergabe persönlicher Daten ohne die ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen soll künftig verboten werden. Damit wird das bisher geltende Geschäftsprinzip - Kunden mussten, meist im klein gedruckten Anhang, ausdrücklich widersprechen - umgedreht. Bereits Ende November soll ein entsprechendes Gesetz verabschiedet werden.

Gleichzeitig aber treibt die Politik, ohne Zweifel auf Drängen der Wirtschaft, zahlreiche Projekte voran, um immer mehr Vorgänge zwischen Bürgern, Behörden und Verwaltungen so schnell wie möglich im Internet oder auf anderen elektronischen Wegen vollziehen zu können. eGovernment ist der neudeutsche Dachbegriff für all diese Projekte (siehe Kasten), die gern als "Entbürokratisierung" oder "Barriereabbau" verkauft werden und Arbeitgebern und Wirtschaft angeblich Kosten in hohen Millionenbeträgen sparen sollen. Dass damit für den Bürger stets die Preisgabe persönlicher Daten verbunden ist und dank neuer Technologien auch die massenhafte Speicherung und der Abgleich solcher Daten, dass damit potenziell der Zugriff wie auch immer interessierter Seiten programmiert ist, das wird in Zeiten wie diesen gern verschwiegen.

Den Heißhunger der Wirtschaft illustriert eine Kurzmeldung der Deutschen Presseagentur, dpa, von Ende August. Dort heißt es, der Computerkonzern SAP setze bei der Suche nach neuen Kunden auf die öffentlichen Verwaltungen. SAP ist der größte europäische Softwarehersteller mit einem Gesamtumsatz von 10,3 Milliarden Euro in 2007. Nach eigenen Angaben ist der Konzern bereits in den Verwaltungen von acht deutschen Bundesländern aktiv, der Anteil des Geschäftsfeldes mache mittlerweile zehn Prozent des Gesamtumsatzes aus. Ziel sei es, in allen Bundesländern vertreten zu sein. Ein kräftiger Schluck aus der Pulle.

ver.di setzt auf Teilhabe

Wie auf den Punkt geplant kam denn auch eine ver.di-Konferenz daher, die der Bundesfachbereich Bund, Länder, Gemeinden Anfang September in Berlin einberufen hatte. "Staatliche Versorgung und Öffentliche Daseinsvorsorge in der Informationsgesellschaft" lautete der etwas sperrige Titel der Veranstaltung. ver.di-Bundesvorstandsmitglied Achim Meerkamp beschrieb die Gemengelage: "Der Einsatz der neuen Informationstechniken kann zweischneidig sein. Er kann Demokratie fördern, er kann sie aber auch gefährden", sagte er zur Eröffnung der Tagung mit Personalräten und Fachleuten aus dem ganzen Bundesgebiet. Zwei von Meerkamps Beispielen: Die Deutsche Nationalbibliothek digitalisiert alle ihre Bestände und hat zum Ziel, alles, was urheberrechtlich freigegeben ist, den Bürgerinnen und Bürgern über das Netz zugänglich zu machen. "So wird die kulturelle Teilhabe gesteigert", sagte Meerkamp. Gleichzeitig kritisierte er unter anderem das neue Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung und Telekommunikationsüberwachung. ver.di hat deswegen bereits mit anderen im Interesse der Koalitions- und Pressefreiheit Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Außerdem bekräftigte Meerkamp ver.dis Aufruf zur bundesweiten Demonstration gegen die umfassende Überwachung am 11.Oktober in Berlin.

Berliner Manifest

Als Basis für die Diskussion über eine demokratische Infrastrukturpolitik in der Informationsgesellschaft hat ver.di ein umfassendes Konzept entwickelt, das sowohl die vielschichtigen Interessen der Verbraucher als auch die Anliegen der betroffenen Beschäftigten berücksichtigt. Unter dem Titel "Berliner Manifest: Öffentliche Dienste 2.0, Daseinsvorsorge in der Informationsgesellschaft stärken!" beschreibt das Manifest Anforderungen zur Gestaltung und Nutzung von Informations- und Kommunikationstechniken, um den öffentlichen Reichtum zu fördern und die Grundversorgung aller Menschen in der Netzgesellschaft zu gewährleisten. Das Manifest setzt auf die Steuerungsfähigkeit der Politik statt auf Privatisierung.

Dokumentation

www.governet.de/7/

www.freiheitstattangst.de

www.onlinerechte-fuer-beschaeftigte.de

Daten-Kraken

Ungeachtet aller Skandale schraubt die Bundesregierung an mehreren Projekten zur (zentralen) Datenspeicherung: Alle Bürger bekommen die einheitliche Steuerkennnummer. Aktuell erweist sich schon der Versand als schwierig - offensichtlich sind die Adresslisten veraltet.

Hinter Elena versteckt sich der "elektronische Entgelt-Nachweis", vormals bekannt als Job-Card und schon unter Rot-Grün als Teil der Hartz-Maßnahmen umstritten. Die Arbeitgeber sollen die relevanten Daten der Beschäftigten an eine zentrale Speicherstelle übermitteln, wo sie abgerufen werden können, wenn jemand Arbeitslosengeld, Eltern- oder Wohngeld und sonstige Leistungen beantragen will. Die Arbeitgeber müssten keine schriftlichen Bestätigungen mehr ausstellen. Ihnen werden saftige Ersparnisse in Aussicht gestellt. Die Industrie begrüßt das Vorhaben als "Entbürokratisierung".

Gesundheits-, Versicherungs- und Technologie-Wirtschaft begrüßen zudem die Gesundheitskarte. Verbände von Ärzten und Patienten befürchten jedoch, wenn Patientendaten erst auf zentralen Speichern gelandet seien, könne eine Gesetzesänderung auch die Zweckbindung ändern und Zugriffe ermöglichen. Sie verweisen auf die Diskussion um Daten aus dem Maut-Verfahren. Innenpolitiker fordern immer wieder, diese Daten zur Verbrechensbekämpfung einzusetzen. Praxistests floppten aber bislang, zumindest in Schleswig-Holstein.

Rund 30 Angaben, die gewöhnlich bei den bundesweit rund 5000 kommunalen Melderegistern vorliegen, möchte Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Bundesmelderegister zusammenführen. Datenschützer und Menschenrechtsorganisationen haben massive Einwände gegen alle diese Projekte. Sie klagen dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht.