Ausgabe 12/2008
Was bleibt, ist die Geisterstadt
Von Adrienne Woltersdorf |David Raizk vor dem Foto, das ihn und Obama zeigt
DHL, die Tochter der Deutschen Post, kündigt den Ausstieg aus dem Luftfrachtgeschäft in den USA an
Von Adrienne Woltersdorf
Die Katastrophe bahnte sich seit Monaten an. Bis zum Schluss hatten die 13000 Einwohner von Wilmington im US-Bundesstaat Ohio trotzdem noch gehofft, doch am 10. November verkündete die Deutsche Post-Tochter DHL ihren Rückzug aus dem US-Luftfrachtgeschäft und damit die Entlassung von knapp 10000 US-Angestellten. Am 30. Januar 2009 soll Schluss sein in Wilmington. "Das ist das Ende, eine Geisterstadt wird übrig bleiben", sagt Lynn Knowel. Die Vorsitzende der Pilotengewerkschaft "Teamsters" hatte, wie alle in Wilmington, seit Monaten versucht, mit der DHL-Leitung in Kontakt zu treten und die drohende Schließung abzuwenden. Vergebens. Seit Ende Mai ahnten alle, dass "the Post" wie sie den deutschen Konzern hier nennen, einschneidende Umstrukturierungen in ihrer Kleinstadt plante. Da war bereits von Milliarden-Verlusten die Rede. "Wir waren als Gewerkschaft zu allem bereit, um DHL hier zu halten. Wir dachten, die Konzernleitung wird vor der endgültigen Entscheidung mit uns nach Lösungen suchen", sagt Jeff Drake, 47, Pilot und Gewerkschafter. Wie alle Wilmingtoner wähnte er sich wenigstens bis Ende 2010 sicher. Bis dahin hatte sich DHL in Wilmington vertraglich verpflichtet. Bis dahin, hofften alle, könnten die größten Probleme gemeinsam gelöst werden.
Initiative in Aktion
Joe Teuchert ist 47 und "am Arsch", wie er sagt. Das Jahr, das für ihn gut begonnen hatte, könnte das schlimmste seines Lebens werden. Seit 26 Jahren fliegt er als Pilot Transport-Boeings durch die USA. Luftfrachtzustellung ist sein Geschäft. Weil gerade alles so gut lief und er seit 2004 einen sicheren Job bei der DHL zu haben glaubte, hat er Anfang des Jahres ein Baugrundstück in Wilmington gekauft. Als Ende Mai die ersten Hiobsbotschaften aus Bonn nach Ohio drangen, dass die DHL sich zurückzieht, von deren Sortierzentrum und Frachtflughafen die Region lebt, ergriff ihn Panik. Nicht nur, weil sein Baugrundstück, in das er seine Ersparnisse gesteckt hatte, über Nacht jeden Wert verlor. Bei seiner Frau war zudem eine degenerative chronische Krankheit diagnostiziert worden, die ihm so viel Angst macht, dass er sie lieber nicht nennen möchte. "Wenn ich Ende Januar meinen Job verliere, stehen wir auch ohne Krankenversicherung da. Ich weiß nicht, was wir dann machen", sagt Joe.
Er wirkt gefasst. Statt herumzusitzen und Däumchen zu drehen, hat er sich bereits im Sommer mit anderen Aktivisten zusammengetan, um etwas zu unternehmen. Lieber will er alles versuchen, als sich seinem Schicksal zu ergeben. Gemeinsam mit anderen Bürgern hat er die Initiative "Save the Jobs" - Rettet die Arbeitsplätze - gegründet und fungiert nun als deren Sprecher. Die rund 30 Aktivisten haben in den letzten Monaten ihre Kongressabgeordneten herbeigerufen, sie fuhren nach Washington, um vor der Deutschen Botschaft zu protestieren. Sie verfassten Presseerklärungen und schrieben sogar einen Offenen Brief an Angela Merkel. Teuchert sprach im Sommer mit den beiden Präsidentschaftskandidaten John McCain und Barack Obama. Die Politiker konnten nicht helfen, beide setzten sich jedoch dafür ein, dass im US-Kongress zwei Anhörungen abgehalten wurden. Der Anlass: Viele in Wilmington vermuten, dass es zwischen DHL und der amerikanischen Konkurrentin UPS längst zu kartellrechtlich illegalen Mauscheleien gekommen ist. "Eine Art von ‚Du bekommst das US-Geschäft, wir nehmen den Weltmarkt‘ oder so", meint Teuchert.
Wenn sie nur bleiben
Bürgermeister David Raizk hat dunkle Ringe unter den Augen. Es ist Nacht und er sitzt immer noch in seinem Büro, wühlt in den Papierstapeln der anlaufenden Notmaßnahmen für seine Stadt. "Ich werde wütend, wenn die Leute sagen, Wilmington wird eine Geisterstadt", sagt er energisch. Er, der ehrenamtliche Stadtvater, muss den Menschen wenigstens Mut machen. Er fühlt sich düpiert, denn immer wieder hatte das DHL-Management ihm und Ohios Vizegouverneur versichert, dass nach einer Restrukturierung alles wieder bergauf gehen werde. Sauer sind Raizk und die Wilmingtoner vor allem, weil das Management "nicht auf Ratschläge hören wollte". Und weil DHL für die Ansiedlung im Jahr 2004 Steuererleichterungen und Infrastrukturgeschenke im Wert von 422 Millionen US-Dollar von der Gemeinde und dem Staat Ohio erhalten hatte. Aber auch der Bürgermeister sagt: "Wir wären noch immer bereit, viel mehr zu tun, wenn sie nur bleiben."