Die Regierung schickt sehenden Auges Hunderttausende von Menschen in die Arbeitslosigkeit. Auch ver.di ruft auf zum Massenprotest

Paris, 29. Januar 2009: Millionen Franzosen sehen rot

von Maria kniesburges

Die Krise ist da angekommen, wo man sie am härtesten spürt: bei den Menschen, die wegen Kurzarbeit empfindlich an Einkommen einbüßen, bei den 150000, die als Leiharbeiter sofort nach Hause geschickt wurden, und längst auch bei den Beschäftigten der Stammbelegschaften, die nun entlassen werden, weil ihr kürzlich noch solider Betrieb plötzlich keine Aufträge mehr hat. Und während die Bundesregierung im vergangenen Herbst willens und in der Lage war, von jetzt auf gleich milliardenschwere Hilfspakete für die Pleite-Banken auf den Weg zu bringen, hat sie bis heute kein Konjunkturprogramm zustande gebracht, das den Namen auch nur annähernd verdient. Sehenden Auges schickt sie so Hunderttausende von Menschen in die Arbeitslosigkeit und schließlich in ein Leben mit Hartz IV.

Statt in einem hinreichenden Maß in öffentliche Aufträge zu investieren und Arbeitsplätze zu sichern, statt in Bildung und Gesundheitswesen, statt in sinnvolle Projekte des ökologischen Umbaus zu investieren, entfacht sie kurzlebige Strohfeuer mittels Auslobung einer Verschrottungsprämie für Automobile und betreibt ansonsten unbeirrt die alte Klientelpolitik. Abgabesenkungen für Unternehmen und Steuererleichterungen, die statt bei den unteren und mittleren Einkommen wieder einmal stärker bei den höheren zu Buche schlagen. Aber keine Mittel zur Behebung des Personalnotstands in den öffentlichen Krankenhäusern, den Schulen und in der Pflege.

Nicht nur menschlich, sondern gerade wegen der verheerenden Krise auch ökonomisch geboten, wäre überdies die umgehende Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze auf mindestens 420 Euro, wie es ver.di seit langem fordert. Die Binnennachfrage würde steigen, und zwar von jetzt auf gleich. Auch die sofortige Einführung des gesetzlichen Mindestlohns von zunächst mindestens 7,50 Euro wäre eine direkt wirksame Vitamingabe für die Konjunktur, da die Menschen unmittelbar die Waren zum Lebensbedarf kaufen könnten, für die ihr Lohn nicht mehr reicht. Das aber hat die Bundesregierung ebenso wenig im Sinn wie eine Umkehr in der Steuerpolitik, die seit Jahren nichts anderes ist als eine permanente und großzügige Umverteilung von unten nach oben. Gerade erst wurde die Erbschaftssteuer für Großerben attraktiver gemacht, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer wird von der Bundesregierung nicht einmal in Erwägung gezogen. Dabei wäre nicht nur das vonnöten. Gerade angesichts der flächendeckenden Pleite der Finanzmarkt-Spekulanten, die mittlerweile ganze Volkswirtschaften mit sich reißt, wäre die zügige Einführung einer Millionärssteuer so angesagt wie angemessen. Oder wer soll die Spielschulden des Finanzkapitals zahlen?

Millionen Menschen machen da nicht mehr mit

"Wir wollen die Krise als Chance nutzen", kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel Mitte Januar an. Nun wird deutlich, wer da eine zweite Chance bekommen soll. Mit Milliarden Steuergeldern werden die beim Roulettespiel gescheiterten Banken bedacht, während in die öffentlichen Haushalte gerade einmal so viel investiert wird, dass der bröckelnde Putz in den Klassenzimmern repariert werden kann. Die Gewerkschaften im DGB und im Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) fordern eine radikale Abkehr von dieser Politik. Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske sagt: "Nach dem desaströsen Zusammenbruch der Finanzmärkte, für dessen Folge wieder einmal alle gerade stehen sollen, kann es kein Weiter-so geben. Politik muss auf eine gerechte Lastenverteilung zielen."

Dafür werden die Gewerkschaften auf die Straße gehen. Für den 16. Mai rufen der EGB und seine Mitgliedsgewerkschaften zu Großdemonstrationen in den europäischen Metropolen auf, in Paris, Rom, Madrid, Brüssel, Warschau, Prag und Berlin. Einen Auftakt der Proteste in Deutschland wird es bereits am 28. März mit Demonstrationen in Frankfurt am Main und Berlin geben, zu denen zahlreiche Organisationen aufrufen, darunter Attac und verschiedene ver.di-Gliederungen. In Frankreich waren es schon Ende Januar Millionen, die unmissverständlich demonstriert haben: "Wir machen das nicht mehr mit."

Zukunft – Seite 16