Zwischen Atlantikstrand, Alhambra und Lohnsteuererklärung

ver.di-Reisen machen ver.dianer/innen zu Wiederholungstätern

VON GABRIELE BÄRTELS

Wenn 30 Kehlen "Hoch auf dem gelben Wahagen" schmettern, während am Strand ein spanischer Reiter seinen Rappen am Atlantik entlang galoppieren lässt, wenn Ralf auf Sächsisch die Abgeltungssteuer erklärt, während Palmen und Pinien ihre Schatten auf Liegestühle werfen, dann, ja dann sind 260 ver.di-Mitglieder auf Andalusienreise.

Hier duzt man sich, alle tragen ihre Vornamen auf Wäscheklammern am Hemdkragen. Wir lernen Luise kennen, die Kollegin mit der sprudelnden Energie, die Jahrzehnte Referentin des ver.di-Mitgliederservice war und sich heute als Rentnerin ehrenamtlich für dieselbe Sache einsetzt. 2003 saß Luise mit Conny, der Inhaberin von VITAL-Reisen, zusammen und beschloss: "Wir werfen mal den Stein ins Wasser." Der Stein war die Idee, den Gewerkschaftsmitgliedern Reisen anzubieten, die genau auf sie zugeschnitten sind. Die Absicht war, damit das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken.

Besonders ältere Mitglieder nahmen seither das Angebot, im Frühjahr oder Herbst in Mittelmeerregionen zu reisen, hundertfach an. So sind dieses Mal 260 ver.dianer im Alter zwischen 45 und 70 Jahren aus allen Ecken Deutschlands angeflogen, um ihre Ferien an der Costa de la Luz zu verbringen. "Fast die Hälfte sind Wiederholungstäter", sagt Luise und freut sich.

Die Urlauber werden von einem starken Team empfangen: Ihre Reiseleitung ist den ganzen Tag ansprechbar, eine Reihe von engagierten Referenten zu unterschiedlichsten Themen steht bereit, und das gesamte Programm kann eigentlich nur der nutzen, der in der Lage ist, sich vierzuteilen. Zumindest der Versuch wird unternommen: So kann man nachmittags beobachten, wie zahlreiche Teilnehmer ihre bequemen Liegestühle am sonnenglitzernden Pool verlassen, um im Konferenzraum über Rentenpolitik zu diskutieren.

Vierteilen müsste man sich können

Luise lacht: "Man hat ja immer mal mit meckernden Mitgliedern zu tun. Hier nicht." Dazu trägt wohl auch die südspanische Umgebung bei, die Zwanglosigkeit, die üppigen Frühstücks- und Abendbuffets und die Tatsache, dass der Umgang mit den Urlaubern sehr persönlich, fast familiär ist.

Die Hauptrolle spielt natürlich Andalusien. Das Hotel Playa la Barrosa liegt gleich hinter den Dünen und hat seinen Namen von dem roten Lehm, den schon die Phoenizier nutzten, um ihre Krüge daraus zu formen. Auf Schlafmittel kann verzichtet werden, wenn das Rauschen des Atlantiks den Rhythmus der Atemzüge vorgibt. Die Temperatur pendelt jetzt im Herbst um angenehme 25 Grad.

Am ersten Tag fremdeln die Angereisten noch, aber das ist schnell vorbei. Man ist ja bei derselben Gewerkschaft und wenn man morgens zusammen Rückengymnastik betrieben hat, fällt es leicht, sich mittags am Pool zu grüßen und abends beim Tanzabend zu fragen, ob man sich dazusetzen kann. So kommen Irene und Jürgen aus Wuppertal mit Ursel und Heinz aus Hamburg ins Gespräch, und wenn es nach Jerez de la Frontera geht, um dort in einer Bodega den berühmten Sherry zu probieren, prosten sich vier neue Freunde zu und verabreden sich für den nächsten Tag zum Bocchiaspielen. "Habt Ihr die Flamingos in den Gezeitensümpfen gesehen?"

Die Gäste haben die Wahl: Sie können kilometerweit am Atlantikstrand spazieren, oder morgens in einen Bus steigen und sich von kundigen Führern die verwinkelten Gassen der 3000 Jahre alten Hafenstadt Cadiz zeigen lassen. Am nächsten Tag geht es nach Ronda, einem malerischen weißen Dorf, das eine hügelige Landschaft krönt. In Sevilla wird die größte gotische Kirche der Welt besichtigt und in Granada der legendäre Palast der letzten maurischen Dynastie, die gigantische Alhambra.

Wer lieber singt, schließt sich dem ver.di-Chor an und übt mit dem überaus musikalischen Egon für den großen Auftritt beim ver.di-Treff. "Frei heraus", ruft er, "dann schafft man auch die hohen Töne!" Wer lieber Sterne guckt, lässt sie sich abends von Klaus vom Himmel holen, der auch Ebbe und Flut erklären kann. Die Juristin Judith aus der Bundesverwaltung weiß alles über den Gesundheitsfonds, Ralf hilft auch bei der Lohnsteuererklärung. Oder wie wäre es mit einem Spanisch-Grundkurs? Es schadet ja nichts, einen Einheimischen mit "Hola! Que tal?" (Hallo, wie gehts?") ansprechen zu können. Die Liste der Angebote ist noch viel länger, und jeder wählt nach seinen eigenen Vorlieben.

Und am Abend der ver.di-Luise-Blues

Aber ein Erlebnis bleibt wohl allen unvergesslich: Es ist der ver.di-Luise-Blues, eigens komponiert von Egon, der am Abend auf der Hotelbühne in die Trompete bläst, bis die Tanzbeine zucken. Und Luise, ohne die es all dies gar nicht gäbe, versucht sich in ihrem Sessel zu verkrümeln, während ihr die Gäste zuprosten.

Sie steht auch morgens um sieben in der Halle, um mit herzlicher Um-armung Gäste zu verabschieden, die nach Hause fliegen. Die nehmen einen Sack voll Erinnerungen mit, der das Reisegepäck glücklicherweise nicht belastet. Es passen hinein: Lila blühende Jacaranda-Bäume, Stierkampfarena, Flamenco, andalusische Reitkunst, maurische Zinnen, Tapas, dunkelrote Sonnenuntergänge und eine ganz reale, korrekte Lohnsteuererklärung.