Schule nicht für alle da

In Hamburg soll erstmals eine Schülerin abgeschoben werden, die illegal in der Stadt lebt. Das widerspricht auch der UN-Kinderrechtskonvention

Nennen wir sie Magdalena. Als sie sechs Jahre alt war, wurde sie in Hamburg eingeschult, inzwischen besucht sie die neunte Klasse einer Gesamtschule. Sie fühlt sich als ganz normaler Hamburger Teenager. Doch Ende des Schuljahres soll die 15-Jährige zusammen mit ihrer Mutter nach Bolivien abgeschoben werden. Dort ist sie seit ihrem vierten Lebensjahr nicht mehr gewesen: Niemand dort kennt sie - und sie kennt niemanden dort.

Das interessiert die Verantwortlichen in Hamburg offenbar nicht. Obwohl die schwarz-grüne Landesregierung im Koalitionsvertrag vereinbart hatte, dass für Kinder ohne gültige Aufenthaltspapiere im Einzelfall eine humanitäre Lösung gefunden werden soll, hat die Härtefallkommission entschieden: "Nicht abhilfefähig". Der Antrag, dass Magdalena die Schule in Hamburg beenden darf, wurde abgelehnt.

"Es ist aber nicht der erste Fall, wie es fälschlicherweise in den Medien dargestellt wird", sagt Emilija Mitrovic von MigrAr, der ver.di-Anlaufstelle für Papierlose in Hamburg. Andere Familien hätten ihre Kinder von der Schule genommen oder seien rechtzeitig vor der Abschiebung geflohen.

Seit gut zwei Jahren gibt es in Hamburg ein zentrales Schülerregister. Schulleiter sind verpflichtet, die Daten aller Kinder und Jugendlichen auf einer Plattform einzutragen. Anlass für die Einführung war der Tod der siebenjährigen Jessica, die verhungert in der Wohnung ihrer Eltern aufgefunden wurde. Flüchtlingsinitiativen warnten damals, dass die neue Regelung für Kinder ohne Papiere Nachteile bringen werde: Weil illegal in Deutschland lebende Eltern Angst haben müssten aufzufliegen, würden sie ihre Kinder nicht mehr zur Schule schicken. Genau das ist offenbar passiert, wie die kirchliche Initiative "Fluchtpunkt" berichtet. Sollte Magdalena tatsächlich abgeschoben werden, wird sich dieser Trend weiter verstärken.

Senatorin nicht zuständig?

Magdalenas Anwältin Insa Graefe hatte gehofft, dass sich das Problem ihrer Mandantin durch die neue grünalternative Schulsenatorin Christa Goetsch lösen werde. Die hatte schließlich vor zwei Jahren einen Antrag zum Schutz illegaler Schüler in die Bürgerschaft eingebracht. "Doch seit die GAL mit in der Regierung ist, ist nichts passiert", kritisiert Insa Graefe. Goetschs Sprecherin rechtfertigt das damit, dass die Härtefallkommission das zuständige Entscheidungsgremium sei.

Experten schätzen, dass eine halbe bis eine Million Menschen illegal in Deutschland leben - darunter wohl einige zehntausend Kinder. Die Länder gehen damit sehr unterschiedlich um. Während Schulen in Nordrhein-Westfalen keine Meldebescheinigung verlangen, sind hessische Schulen seit 2003 verpflichtet, die Ausländerbehörde über Kinder ohne Papiere zu unterrichten. Das wollte der kulturpolitische Ausschuss im vergangenen Herbst zwar mit den Stimmen aller Parteien außer der CDU ändern. Doch das christdemokratisch geführte Ministerium ignorierte den Antrag. Nun heißt es im Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP: "Wir werden die Problematik des Schulbesuchs von Kindern ohne Aufenthaltsstatus im Sinne der Kinder lösen, ohne dass das Ziel der Bekämpfung des illegalen Aufenthalts damit in Frage gestellt wird."

Die UN-Kinderrechtskonvention schreibt vor, dass jedes Kind nicht nur das Recht auf Bildung, sondern auch auf Gleichbehandlung und Schutz vor Diskriminierung hat - "unabhängig von Religion, Herkunft und Geschlecht". Auch Deutschland hat die Konvention unterschrieben - allerdings mit einem entscheidenden Vorbehalt: Das deutsche Ausländerrecht soll Vorrang haben vor den Verpflichtungen durch die internationale Konvention.

Unterstützung von Schäuble

Ausgerechnet der ansonsten nicht gerade als liberal bekannte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) setzt sich dafür ein, dass Schülerdaten von den "aufenthaltsrechtlichen Übermittlungspflichten" ausgenommen werden: "Kindern kann der Aufenthaltsrechtsverstoß ihrer Eltern nicht als eigenes Verschulden zugerechnet werden." Zudem sei es für die Kinder und auch für die Gesellschaft besser, wenn sie zur Schule gingen, anstatt auf der Straße herumzulungern. Schon im letzten April hat er seinen Länderkollegen eine entsprechende Änderung des Aufenthaltsgesetzes vorgeschlagen. "Eine Bereitschaft der Länder hierzu ist derzeit jedoch nicht erkennbar", sagt Schäubles Sprecher Christoph Hübner.