In der Wirtschaftskrise stehen mehr Arbeitsplätze auf der Kippe denn je. Die Angst vor dem Jobverlust nutzen Arbeitgeber häufig aus, um Arbeitsbedingungen zu verschlechtern, Arbeitszeiten zu verlängern und Einkommen zu drosseln. Machtlos sind Beschäftigte dennoch nicht. Widerstand ist nicht erst bei Arbeitskämpfen möglich. Ihre Rechte können Beschäftigte tagtäglich wahrnehmen. Allein und individuell, das auch. Mehr Wirkung entfalten sie aber dann, wenn sie sich zusammenschließen

Von MICHAELA BÖHM

Wir sind dann mal beim Betriebsrat

Vorgesetzte lesen die E-Mails der Beschäftigten, beim Verlassen des Firmengeländes durchsucht der Werkschutz Taschen und Rucksäcke, und über den Kassen hängen Überwachungskameras. Ist das erlaubt?

Grund genug, um sich beim Betriebs- oder Personalrat oder bei der Mitarbeitervertretung schlau zu machen. Betriebsräte heißen sie in der Privatwirtschaft, Personalräte im öffentlichen Dienst und Mitarbeitervertretungen im kirchlichen Bereich. Beschäftigte dürfen ihre Interessenvertretung während der Arbeitszeit besuchen, um sich zu informieren, das Tarifrecht erläutern zu lassen oder weil es Konflikte im Betrieb oder am Arbeitsplatz gibt. Jeder darf hingehen, allein oder zu mehreren. So oft und so lange es nötig ist. Den Grund muss man nicht nennen. Nur abmelden muss man sich beim Vorgesetzten. Der Arbeitgeber darf das Gehalt für diese Zeit nicht kürzen. In dringenden Fällen kann der Betriebsrat sofort und außerhalb der Sprechzeit aufgesucht werden.

Andersherum ist das auch möglich: Betriebsrats- oder Personalratsmitglieder schwärmen in den Betrieb aus, besuchen die Kollegen am Arbeitsplatz, fragen nach Problemen und informieren die Beschäftigten. Ebenfalls während der Arbeitszeit, einzeln oder abteilungsweise, informieren sie über die Tarifverhandlung, über Betriebs- oder Dienstvereinbarungen, über Vorhaben der Geschäftsleitung, aber auch über aktuelle politische Fragen, die Arbeitnehmer betreffen, etwa Rente, Gesundheitsfonds, Mindestlohn etc. So steht es im Gesetz: § 39 Betriebsverfassungsgesetz, § 43 Bundespersonalvertretungsgesetz.

Wir wählen einen Betriebsrat

Freitags nicht zu wissen, wann man die darauffolgende Woche arbeiten muss. Zu Hause warten, bis der Chef zum Einsatz ruft. Krankheits- und Urlaubszeiten vom Gehalt abgezogen bekommen, angeordnete Überstunden unentgeltlich leisten müssen und plötzlich fristlos entlassen werden - all das kann in Betrieben passieren, in denen es keinen Betriebsrat gibt.

Ohne Betriebs- oder Personalrat sind Beschäftigte oft der Willkür des Arbeitgebers ausgesetzt. Denn eine der wichtigsten Aufgaben der Arbeitnehmervertretung ist es, darüber zu wachen, dass Gesetze, Verordnungen, Tarifver?träge und Betriebsvereinbarungen eingehalten werden. Betriebs- und Personalräte bestimmen mit bei der Arbeitszeit, bei Einstellung und Versetzung, bei Urlaubsplanung und Arbeitsorganisation, bei Ein- und Umgruppierung. Vor jeder Kündigung müssen sie gehört werden. Interessenausgleich und Sozialplan bei Massenentlassungen gibt es ebenfalls nur mit einer gewählten Arbeitnehmervertretung. Beschäftigte fahren mit Betriebs- oder Personalrat besser als ohne. Der erste Schritt, seine Rechte wahrzunehmen, ist deshalb, einen Betriebsrat zu wählen. Das Betriebsverfassungsgesetz sagt deutlich: "In Betrieben mit in der Regel mindestens fünf (...) Arbeitnehmern (...) werden Betriebsräte gewählt." Und dabei hilft die Gewerkschaft.

Tabus brechen

Der Vorgesetzte vergibt kleine Extras oder eine Gehaltszulage, gern mit dem Zusatz: "Aber behalten Sie das bitte für sich." Damit Beschäftigte glauben, sie würden besser bezahlt als andere. Nicht selten stellt sich das als Trugschluss heraus, wenn jeder erst einmal offenlegt, wie viel er tatsächlich bekommt. Die Beschäftigten einer Abteilung verabreden sich, ihre Lohn- und Gehaltsabrechnungen ans Schwarze Brett zu hängen. Damit ist transparent, was der Abteilungsleiter gern geheim gehalten hätte: Es gibt verschiedene Zulagen, die dazu dienen, Kolleginnen und Kollegen gegeneinander auszuspielen. Eine gewählte Verhandlungskommission legt schließlich die Kriterien für die Zulagen fest. Auf die Art und Weise können Beschäftigte auch feststellen, ob sie falsch eingruppiert sind. Übrigens: Jeder Arbeitnehmer kann verlangen, dass ihm seine Gehaltsabrechnung erläutert wird und zu diesem Gespräch ein Betriebsratsmitglied mitnehmen. Und jeder hat das Recht, seine Personalakte einzusehen: § 82 (2) BetrVG, § 83 (1) BetrVG.

Gemeinsam Strategien entwickeln

Bankbeschäftigte sollen Kunden Bankprodukte andrehen, um die vom Bankvorstand gesetzten Ziele zu erfüllen. Redakteure schaufeln Pressemitteilungen und PR-Berichte ins Blatt. Zum Recherchieren bleibt keine Zeit. IT-Beschäftigten wird ein Projekt ums andere aufgebürdet, die Aufgaben werden größer, die Teams kleiner. So hat sich keiner seinen Job vorgestellt. Mit dem eigenen Berufsethos ist das längst nicht mehr zu vereinbaren. Was tun?

Arbeitgeber setzen darauf, dass Beschäftigte Zielvereinbarungen nicht hinterfragen, Aufgabenberge klaglos abarbeiten, besinnungslos funktionieren und sich selbst die Schuld geben, wenn sie ihre Arbeit nicht mehr schaffen. Im betriebsinternen Netz schilderte eine Projektleiterin von IBM anonym ihre Situation ("Mich regiert blanke Angst") und löste damit eine Flut ähnlicher Schilderungen aus. Anstoß für den Betriebsrat, Aktionsmonate wie "Ich besinne mich" oder "Meine Zeit ist mein Leben" zu organisieren. Erst wenn das Tabu durchbrochen ist, dass jeder allein mit dem Druck fertig werden muss, gibt es eine Chance, gemeinsam Gegenstrategien zu entwickeln.

Wir nehmen uns Zeit!

Abteilungen sind chronisch unterbesetzt, Abhilfe ist nicht in Sicht. Noch mehr und länger arbeiten und an freien Tagen in die Firma kommen, ist keine gute Idee. Damit signalisiert eine Belegschaft dem Arbeitgeber lediglich, dass sie trotz knapper Personalbesetzung funktioniert. Das wird ihn kaum veranlassen, das Personal aufzustocken.

Stattdessen ist es sinnvoller, beim Betriebs- oder Personalrat auf eine Betriebs-/Dienstversammlung zu drängen. Wenn sich Arbeitnehmer während ihrer Arbeitszeit versammeln und darüber diskutieren, wie sie sich gegen Zeitdruck und Arbeitshetze wehren können, haben sie Arbeitgeber an einer empfindlichen Stelle getroffen: In dieser Zeit können und müssen sie nicht arbeiten, und das bis zu sechs Mal im Jahr. Arbeitnehmer können selbst aktiv werden: Der Betriebsrat ist Anlaufstelle für Anregungen von Beschäftigten. Er ist verpflichtet, sich damit zu befassen (§ 80 Absatz 1, Ziffer 3 BetrVG). Darüber hinaus können Beschäftigte auch Beschwerden beim Betriebsrat loswerden. Und der Betriebs- oder Personalrat kann nach §§ 5,6 des Arbeitsschutzgesetzes auf eine Gefährdungsbeurteilung drängen. Der Arbeitgeber ist gesetzlich dazu verpflichtet, Gefährdungen, auch psychischer Art, durch überlange Arbeitszeiten oder hohen Arbeitsdruck, zu ermitteln und zu minimieren.

Nur tun, was verlangt wird

Ein Arbeitsverhältnis ist der Tausch von Arbeitskraft gegen Geld. Mehr arbeiten, länger bleiben als vereinbart, die Maschine auch mit weniger Personal fahren als im Tarifvertrag steht, all das mögen Arbeitgeber erwarten, einen Anspruch darauf haben sie nicht. Scheinbar unbedeutend, aber ungeheuer effektiv: Die vereinbarte Arbeitszeit einhalten. "Niemand hat eine allgemeine Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber und muss sich ihm mit Haut und Haaren zur Verfügung stellen", sagt Helmut Platow, Leiter der ver.di-Rechtsabteilung. Der Arbeitgeber hat lediglich Anspruch auf Normalleistung.

Mehr geht nicht!

Weil Stellen unbesetzt bleiben, müssen die Ärzte auf einer Kinderintensivstation Dauer-Schichten leisten. Auf den Spätdienst folgt der Frühdienst, in Pausen wird durchgearbeitet und das Arbeitszeitgesetz permanent verletzt. Ein klarer Fall für eine Überlastungsanzeige. Darin informieren Beschäftigte Geschäftsleitung, Personalabteilung und den Personal- oder Betriebsrat über die akute Arbeitsüberlastung, die im Krankenhaus dazu führen kann, dass Patienten nicht mehr versorgt werden können. Mit einer Anzeige bei Überlastung und Gefährdung schlagen die Beschäftigten Alarm, fordern Vorgesetzte auf, Abhilfe zu schaffen, und entlasten sich von der Pflicht, für die Sicherheit und Gesundheit der ihnen anvertrauten Menschen zu sorgen. Tipp: Am besten mehrere Arbeitnehmer tun sich zusammen und machen daraus eine gemeinsame Aktion: § 16 Arbeitsschutzgesetz.

Flash-Mob

Man stelle sich vor, Dutzende von Menschen greifen nach Ein-Cent-Artikeln und blockieren den Kassenbereich. Oder packen die Einkaufswagen voll und lassen sie mitten im Laden stehen. Nicht aus lauter Jux, sondern weil der Arbeitgeberverband, etwa im Einzelhandel, die Tarifverhandlungen blockiert. Oder um auf Missstände aufmerksam zu machen. Solche Aktionen heißen Flash-Mobs, auch Blitzauflauf genannt, organisiert über Internet, Telefon oder Mund-zu-Mund-Flüsterpropaganda. Blitzartig auftauchen, blitzartig wieder auflösen. Flash-Mobs sollen irritieren, wachrütteln, Widerstand zeigen. Sie sind dann geeignet, wenn die Öffentlichkeit informiert werden soll und sind wirkungsvoll, wenn eine Belegschaft gut organisiert ist. Nach ver.di-Auffassung sind Flash-Mobs in zugespitzten Tarifauseinandersetzungen ein zulässiges Kampfmittel. Die Arbeitgeber sehen das natürlich anders und ziehen dagegen häufig vor Gericht - bisher erfolglos.