Mit neuem Service will das politische Internet-Portal den Dialog zwischen Bürgern und Politikern beflügeln

Noch heute kann Michael Neumann (SPD) gut in die Webcam von abgeordnetenwatch.de lachen. War er doch 2004 der erste Wahlkandidat, der sich über das Dialog-Portal öffentlich den schriftlichen Fragen von Bürger/innen aus Hamburg stellte; das Interview dazu kann man sich auf www.abgeordnetenwatch.de heute noch ansehen.

Damals kandidierte Neumann für die Hamburgische Bürgerschaft. Die Wahl verwies den heutigen Vorsitzenden der SPD-Bürgerschaftsfraktion zwar in die Opposition, doch im Internet war er mit seiner frühzeitigen Beteiligung eine Art Pionier. Andere Politiker taten sich nämlich zunächst schwer, sich und ihre politischen Ansichten öffentlich einsehbar mit Kreti und Pleti zu diskutieren; das war dann doch zu viel der Bürgernähe.

Inzwischen hat der Erfolg des gemeinnützigen Projekts die Zögerer und Antwortverweigerer entweder in die Flucht der Standard-Antwort geschlagen oder zum Umdenken bewegt. Kaum ein Abgeordneter oder gar Spitzenkandidat will mehr auf die werbewirksame Präsenz bei abgeordnetenwatch.de verzichten. "Im Bundestag liegt die Beteiligungsquote heute konstant bei 90 Prozent, zehn Prozent reagieren gar nicht oder schicken Standards", erläutert Michael Reyher, Sprecher von abgeord netenwatch.de.

Gerade diese "Standard-Antworten" werden von Kritikern missbilligt. Sie gestatten es den Volksvertretern, sich mit Floskeln aus der Affäre zu ziehen. Doch sie sind bewusst erlaubt, denn "jeder soll einen unverfälschten Eindruck bekommen und dann seine Schlüsse ziehen. Wir wollen nichts vorgeben, wir stellen dar und die User können sich ihr eigenes Bild machen", so Reyher.

Maulfaule auf einen Blick

Durch Eingabe der Postleitzahl oder des Namens des gesuchten Politikers gelangt man zu dessen persönlichem Profil und zur Eingabemaske für die jeweiligen Fragen. Auch das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten wird dokumentiert; recherchiert werden alle Informationen durch die Mitglieder der Portal-Redaktion. Viel Spaß machen die Balken, die die Antwortquote der Befragten darstellt. Auf einen Blick trennen sich so die antwortfreudigen von den eher maulfaulen oder besonders langsamen Kandidaten.

Die Seite, die auch bei vergangenen Landtags- und Europawahlen schon gut funktioniert hat, soll jetzt für die kommende Bundestagswahl um neue Funktionen erweitert werden. Nach dem Relaunch im Juli können Kandidaten ihr von der Redaktion erstelltes und recherchiertes kostenloses Grundprofil updaten - gegen Gebühr, aber mit dem Vorteil eines "Frühbucherrabatts". Das eingenommene Geld soll der Deckung der Projektkosten dienen.

Auch an neue Funktionen für die User wird gedacht. "Wir werden noch mehr Möglichkeiten zur Recherche und Infobeschaffung anbieten", sagt Reyher und freut sich über den "wahren Infoschatz", den sie über die Jahre angehäuft haben. Die Zahlen geben ihm Recht. In der letzten Legislaturperiode wurden auf abgeordnetenwatch.de 37 164 Fragen an Politiker und Kandidaten gestellt, 31 216 davon wurden auch beantwortet. Wie zufriedenstellend diese ausfallen, muss jeder selbst bewerten. Jenny Mansch