Niedersachsen trägt die "rote Laterne"

„Gute Pflege will bezahlt sein". Unter diesem Motto hat sich in der Region Hannover ein Aktionsbündnis gegründet, getragen von stationären Pflegeeinrichtungen, DGB und ver.di. Ein Gespräch mit Joachim Lüddecke von ver.di

Die Armutsquote beträgt in Niedersachsen 15,5 Prozent. Mit diesem Wert liegt das Land im Mittelfeld. Aber mit Westdeutschland (Quote im Schnitt: 12,9 Prozent) verglichen, weisen nur das Saarland und Bremen höhere Werte auf. Im Land zeigen sich große Unterschiede in den Armutsquoten: Sie reichen von 12,4 Prozent in der Süd- heide bis zu 20,3 Prozent in Ostfriesland. Niedrige Werte sind im Hamburger Umland (12,8) zu verzeichnen sowie im Umland von Bremen (13,7). Die Regionen um Han- nover, Braunschweig, Salzgitter und Wolfsburg weisen dagegen recht hohe Werte zwischen 16,3 und 14,2 Prozent auf, wie auch der Osnabrücker Raum mit 17,0 und Süd- niedersachsen um Göttingen mit 18,5 Prozent.

ver.di PUBLIK | Wie kam es zum Aktionsbündnis Altenpflege?

Lüddecke | In Niedersachsen gibt es rund 1 400 stationäre Altenpflegeeinrichtungen mit circa 65 000 Pflegekräften, die täglich Menschen nach besten Kräften umsorgen. Sie haben aber immer mehr Probleme, diesem Anspruch gerecht zu werden. Grund ist, dass die stationäre Altenpflege in Niedersachsen völlig unterfinanziert ist. Die Pflegesätze in Niedersachsen liegen ca. neun Prozent unter dem bundesweiten Durchschnitt. Im Vergleich der westdeutschen Pflegesätze hat Niedersachsen "die rote Laterne". So sind zum Beispiel die Sätze in der Pflegestufe III in NRW um 20,6 Prozent höher. Die laufenden Einnahmen der Altenpflegeeinrichtungen sind längst nicht mehr kostendeckend. Die stationären niedersächsischen Pflegeeinrichtungen stehen mit dem Rücken an der Wand, einige sind sogar insolvenzgefährdet.

ver.di PUBLIK | Warum hat Niedersachsen so geringe Pflegesätze?

Lüddecke | Das ist vor allem durch die Trägerstruktur bedingt. In Niedersachsen befinden sich 52 Prozent aller Plätze in privaten Einrichtungen, in Nordrhein-Westfalen sind es nur 29 Prozent. Viele private Anbieter sind aufgrund fehlender Tarifverträge in der Lage, Pflegeleistungen billiger anzubieten. In den Verhandlungen mit den Pflegekassen bestimmen somit diese Billigheimer den Preis. Einrichtungen der Wohlfahrtspflege und der Kommunen mussten infolge des so genannten externen Vergleichs Pflegesätze akzeptieren, mit denen sie ihre Kosten nicht mehr decken können.

ver.di PUBLIK | Die Beschäftigten leiden also auch in Niedersachsen unter der Sparwut der Kostenträger?

Lüddecke | Ja. Die unter finanziellen Druck geratenen Pflegeeinrichtungen haben hauptsächlich am Personal eingespart. Der Fachkräfteanteil wurde zurückgeschraubt, der Personalbestand reduziert, der Einsatz von Leiharbeitsfirmen verstärkt. Zudem wurden kommunale Einrichtungen privatisiert, wie die Heime der Region Hannover oder die städtische Altenpflegeeinrichtung Celle. Mit ständig unter Zeitdruck stehenden Pflegekräften, die ihren Lebensunterhalt immer weniger von ihrem Gehalt finanzieren können, kann menschenwürdige Pflege in Niedersachsen nicht funktionieren.

ver.di PUBLIK | Und was will das Aktionsbündnis jetzt erreichen?

Lüddecke | Ziel ist es, Entscheidungsträger in Politik und Pflegekassen dazu zu bringen, die Pflegesätze zumindest an den Bundesdurchschnitt anzupassen. Zwar hat die Niedersächsische Landesregierung Anfang 2009 ein so genanntes vereinfachtes Verfahren zur Erhöhung der Pflegesätze veranlasst, in der Praxis zeigt sich jedoch, dass Pflegekassen und Kommunen als Sozialhilfeträger versuchen, Pflegesatzerhöhungen zu verhindern. Gute Pflege kostet nun mal Geld. Und das Geld muss bei den Beschäftigten ankommen.