Ausgabe 06/2009-07
Ungesunde Deutungsmacht
Ungesunde Deutungsmacht
Die Bertelsmann-Stiftung gewinnt zunehmend an Einfluss auf die Qualitätsbestimmungen und die Qualitätskontrolle in der deutschen Gesundheitsversorgung
Wer beurteilt die Ärzte am besten?
Von Uta von Schrenk
Die umstrittene Bertelsmann-Stiftung gewinnt immer mehr Einfluss auf das deutsche Gesundheitswesen. Der neueste Coup: Die Bertelsmann-Stiftung entwickelt gemeinsam mit der Krankenkasse AOK einen so genannten Ärzte-TÜV, ein Online-Portal, auf dem Patienten ab 2010 Ärzte beurteilen können.
Zudem hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) entschieden, dass das Aqua-Institut, das wiederum enge geschäftliche Beziehungen zur Bertelsmann-Stiftung pflegt, künftig die Versorgungsqualität in weiten Bereichen des Gesundheitswesens prüfen soll. Der G-BA ist das höchste Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheits- wesen, in dem Vertreter der Kassen, Ärzte, Kliniken und Patienten zusammensitzen.
Überraschender Zuschlag
Der Ausschuss war von der Bundesregierung verpflichtet worden, eine unabhängige Institution zu beauftragen, um Verfahren "zur Messung und Darstellung der Versorgungsqualität für die Durchführung der einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherung" zu entwickeln. Es geht um den ambulanten und stationären Bereich, unter anderem das ambulante Operieren, die ambulante Behandlung und die Disease Management Programme, die Behandlungskonzepte für chronisch Kranke.
Dass das Aqua-Institut den Zuschlag für das Qualitätsinstitut des G-BA bekam und nicht die seit Jahren eingeführte und von Bundesärztekammer, Krankenkassen und Deutscher Krankenhausgesellschaft gegründete Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung (BQS), ist überraschend. Dagegen hat die BQS am 29. Mai beim Landessozialgericht Essen Klage eingereicht. Das Gericht hat dem G-BA nun bis August verboten, einen Vertrag mit Aqua zu unterschreiben.
Diese beiden neuen Entwicklungen in der Beraterszene des deutschen Gesundheitswesens gewinnen an Brisanz vor dem Hintergrund, dass die Bertelsmann-Stiftung mit der "Stiftung Praxissiegel" und der "Weißen Liste" bereits über zwei Instrumente zur Bewertung von Qualität im Gesundheitswesen verfügt. Die "Weiße Liste" ist ein Online-Portal, mit dem sich Patienten über die Güte einer Klinik ihrer Wahl informieren können. Die "Stiftung Praxissiegel" ist eine Ausgründung der Bertelsmann Stiftung, in der sie gemeinsam mit dem Aqua-Institut Arztpraxen anhand des selbst entwickelten Qualitätsmanagementsystems EPA prüft und Sterne wie für Restaurants üblich vergibt.
Der Sprecher Qualitätssicherung der Patientenvertreter im G-BA, Wolf-Dietrich Trenner, sieht das Bertelsmann-Engagement kritisch: "Der Gigant hat seine Finger nach dem Gesundheitswesen ausgestreckt und greift nun zu." Ähnlich skeptisch ist Silke Lüder von der Vereinigung Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW): "Ich finde es äußerst beunruhigend, dass die Stiftung eines international agierenden Konzerns wie Bertelsmann jetzt so einen grundlegenden Einfluss auf das gesamte Gesundheitswesen erhalten hat, nicht nur im stationären Bereich über die Weiße Liste, sondern auch für den ambulanten Sektor."
Reine Profitinteressen
Wohin dieses Engagement letztlich führen soll, argwöhnt Gregor Bornes, Patientenvertreter beim G-BA und Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft der Patient/innenstellen (BAGP): "Wir beobachten diese Entwicklung von Konzepten im ,gemeinnützigen' Bereich der Stiftung sehr genau im Hinblick auf die Erträge, die später dann privatwirtschaftlich erzielt werden."
Zumindest der Konzern Bertelsmann, in diesem Fall seine Tochter Arvato, hat handfeste wirtschaftliche Interessen, was den Gesundheitsmarkt anbelangt. "Wenn man dann noch weiß, dass Arvato einen Auftrag für die Digitalisierung der Fotos aller AOK-Versicherten für die elektronische Gesundheitskarte im Wert von 1,9 Milliarden Euro bekommen hat, sieht man eben doch, dass es Profitinteressen in diesem Sektor gibt, der durch die Stiftung vornehmlich gefördert wird", sagt Silke Lüder von den Ärzten in sozialer Verantwortung.