Achim Meerkamp ist Mitglied im ver.di-Bundesvorstand und Leiter der Bundesfach- bereiche Bund/Länder und Gemeinden

ver.di PUBLIK | Können sich Kommunen durch Einsparungen, Privatisierungen und ähnlichem allein von ihren strukturellen Defiziten befreien?

Achim Meerkamp | Nein. Schon der Begriff „strukturell” sagt aus, dass sich diese Defizite auf dem bisherigen Weg der Ausgabenreduzierung und Privatisierung nicht bewältigen lassen. Der Städtetag prognostiziert das Jahresdefizit für 2009 auf 2,5 Mrd. Euro. Insgesamt ist die Verschuldung auf 106 Milliarden Euro durch die positive Entwicklung in 2008 gesunken. Nach Berechnungen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes wird die Verschuldung bis 2010 auf 114 Milliarden Euro wachsen, was zum Großteil aus einem weiteren Anstieg der kurzfristigen Kassenkredite resultiert. Kassenkredite sind quasi die „Überziehungskredite” der Kommunen und machen somit die Unterfinanzierung der kommunalen Haushalte deutlich. Die öffentliche Hand braucht gesicherte und konjunkturell unabhängige Einnahmen und keine falschen Steuersenkungsversprechen. Das kann nur durch eine nachhaltige Reform der Gemeindefinanzen erreicht werden. Immer mehr Städte und Gemeinden stehen vor einem Finanzkollaps, deshalb müssen in den Ländern Sofortprogramme für notleidende Städte und Gemeinden aufgelegt werden.

ver.di PUBLIK | Gibt es positive oder negative Erfahrungen mit der Bertelsmann-Stiftung und/oder mit Bertelsmannunternehmen wie Arvato bei der Sanierung kommunaler Haushalte?

Meerkamp | Mit der Gründung der Bertelsmann Tochter Arvato hat die Konzernstiftung ihre bisher immer proklamierte Unabhängigkeit verloren. Der Bertelsmann-Konzern ist ein privater Wettbewerber, der sich ganz klar als Ziel gesetzt hat, Marktanteile im Dienstleistungsbereich der öffentlichen Hand zu erwerben. Und dass Private nicht besser sind, beweist Arvato gerade in Würzburg. Dort wurde ein Bürgerservicebüro verspätet und teurer als geplant eröffnet. Alle weiteren angedachten Veränderungen werden konkret in Stellenabbau umgerechnet, so dass dies zu Lasten der Beschäftigten gehen wird. Innovation sieht unseres Erachtens anders aus.

ver.di PUBLIK | Sollten Kommunen direkte Staatshilfe, Staatskredite bekommen wie die Banken? Sollten die bisherigen Begrenzungen für die kommunale Kreditaufnahme fallen, weil kommunale Kredite sowieso günstiger sind?

Meerkamp | Die Höhe der kommunalen Kreditaufnahme ist an den Umfang der Investitionen der Kommunen gekoppelt. Bereits jetzt sind erste Einbrüche der Gewerbesteuereinnahmen in den Kommunen festzustellen. Nach dem jetzigen kommunalen Konjunkturprogramm besteht die Gefahr, dass die Investitionen wieder stark zurückgefahren werden. Sofern es in den kommenden Jahren nicht gelingt, die Einnahmen der Kommunen auf gesicherte, also nachhaltige Grundlagen zu stellen, werden staatliche Hilfen unausweichlich werden. Die Alternativen wären eine weitere Entstaatlichung und deutliche Einschränkungen des kommunalen Selbstverwaltungsrechts – und gravierende Unterschiede der Lebensbedingungen in Deutschland.

INTERVIEW: WERNER RÜGEMER

„Alle weiteren angedachten Veränderungen werden konkret in Stellenabbau umgerechnet, so dass dies zu Lasten der Beschäftigten gehen wird. Innovation sieht anders aus”