Ausgabe 11/2009
Harte Zeiten
Das Geschäft mit den Zeitungen in New York
von Eva C. Schweitzer
Eric Piepenburg hat es eilig. Der energische junge Mann läuft durch die sonnige Cafeteria im zwölften Stock des New-York-Times-Wolkenkratzers, die einen Blick weit über Manhattan bietet. Piepenburg arbeitet für die Times Digital, die Onlineausgabe der Times. Und er organisiert die digitalen Kollegen für die Newspaper Guild, die Gewerkschaft der Journalisten. Und dabei war er bisher, sagt er, ziemlich erfolgreich.
"Wir haben es geschafft, dass die Times Digital praktisch ein ,Union Shop' ist, übrigens als erstes digitales Medium in den USA", sagt er. 90 Prozent aller Mitarbeiter seien inzwischen in der Guild. Nun verhandeln die Online-Redakteure und Reporter, die Produzenten, Fotografen und Anzeigengestalter über ihren ersten Arbeitsvertrag mit der Verlagsleitung. "Anfangs waren wir unterbezahlt, vor allem im Vergleich zu den Printredakteuren, aber wir haben inzwischen schon aufgeholt", sagt Piepenburg. "Genauso wichtig ist aber die Arbeitszeit. Wir produzieren 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, da wollen wir dafür sorgen, dass Leute nicht auf Dauer in Schichten gesteckt werden, in denen sie unglücklich sind." Das Zeitungsgewerbe in den USA ist im Umbruch. Immer mehr Blätter melden Konkurs an, schließen, oder wandern ins Internet ab. Innerhalb von sechs Monaten verloren die Blätter durchschnittlich 10,6 Prozent ihrer Auflage. Stellen werden abgebaut, und Lohnkürzungen verhandelt. Im vergangenen Jahr sind insgesamt 5 900 Arbeitsplätze in Medienredaktionen gestrichen worden. Die Konditionen für die betriebliche Krankenversicherung verschlechtern sich. Und die Verlage versuchen, Betriebsteile auszulagern, oder die Arbeit von Firmen erledigen zu lassen, die nicht organisiert sind. "Die Frauen da drüben sind nicht mehr in der Gewerkschaft", sagt Gewerkschafter Art Mulford und deutet auf die Kassiererinnen in der Cafeteria. "Als wir vor zwei Jahren von der West 43rd Street hierher gezogen sind, wurde die Cafeteria abgewickelt. Das macht nun eine Fremdfirma." Das Gleiche gelte für Boten, Putzfrauen und Bürohilfen. Art Mulford ist der Vorsitzende der Newspaper Guild of New York und ihrer 1 300 Mitglieder - USA-weit hat die Gewerkschaft 34 000 MItglieder. Die Guild vertritt viele Medien in der Region, von Time Warner bis zu Standard & Poor‘s. Mulford ist auch der Guild-Vorsitzende der New York Times, was ihn praktisch zu einer Art Betriebsratsvorsitzenden macht. Nicht nur die Reporter und Redakteure sind in der Guild organisiert, sondern alle Angestellten, vom Fotografen über die Sekretärin bis zum Layouter. Die Drucker, Lastwagenfahrer und andere "Blue Collar"-Arbeiter hingegen haben eigene Gewerkschaften. Und das Management, zu dem auch die leitenden Redakteure gehören, wird von der Gewerkschaft nicht vertreten.
Ohne Flächentarifverträge
Für den einzelnen Angestellten ist es wichtig, ob der Betrieb organisiert ist, denn in den USA gibt es keine Flächentarifverträge. Hier werden die Konditionen im Betrieb zwischen der Gewerkschaft und der Geschäftsleitung ausgehandelt, in Verträgen, die Jahre gelten. Das betrifft die Löhne, die Krankenversicherung, die auch Rentner abdeckt, die Pensionskasse, die Zahl der Urlaubstage und der "Sick Days", der bezahlten Krankheitstage, und wen es bei betriebsbedingten Kündigungen trifft.
"Ob eine Zeitung organisiert ist oder nicht, ist ein riesiger Unterschied", sagt Charles Bagli, Baureporter für die New York Times. Er hat 1982, nach seinem Studium an der Columbia University, beim Wochenblatt Brooklyn Phoenix angefangen, ging dann nach Florida. Er schaffte es zurück nach New York, zum Observer, ein Klatschblatt für die Immobilienszene. "Beim Brooklyn Phoenix bekam ich 150 Dollar pro Woche und es kam vor, dass der Scheck platzte", erinnert sich Bagli. "Und der Verleger in Florida war sehr feindselig gegenüber Gewerkschaften." Da war der Observer besser. "Das Gehalt war gut, aber wir waren immer nervös, dass wir von einem Tag auf den anderen gefeuert werden konnten. Deshalb hat sich nie jemand beschwert", berichtet Bagli. Er nahm dann zusätzlich einen Nachtjob für ein paar Stunden an, in einem organisierten Betrieb. "Da habe ich mehr verdient als bei einer Tageschicht beim Observer", sagt er. Sogar eine ganze Woche Urlaub habe er gehabt, und fügt hinzu: "Wir sind hier eben nicht in Europa." Heute geht es Bagli bei der Times besser. "Das Einstiegsgehalt war zwar etwas niedriger als beim Observer, aber hier bin ich in der Betriebskrankenkasse, auch meine Frau und meine Töchter sind drin, und ich habe vier Wochen Urlaub." Das Gehalt erhöhe sich jedes Jahr automatisch, und niemand könne ohne Begründung gekündigt werden. Auch ein Depot an Times-Aktien hat Bagli, das als zusätzliche Altersversicherung dient. "Das ist inzwischen ziemlich zusammengeschmolzen." In New York gab es einmal Dutzende von englischsprachigen Tageszeitungen, heute sind es noch fünf — zuletzt scheiterte die New York Sun. Der Stellenpool schrumpft proportional noch stärker. "Wo früher zehn Drucker angestellt waren, arbeiten heute an den modernen Maschinen noch einer oder zwei, das schwächt die Gewerkschaften", sagt Art Mulford. Der Vertrieb wird mit dem Internet womöglich ganz überflüssig. Und auch die Konditionen für Redakteure verschlechtern sich. Ein Times-Redakteur verdient im Schnitt immer noch rund 90 000 Dollar im Jahr. "Damit liegen wir an der Spitze der Branche", sagt Mulford. Aber kürzlich hat die Guild, nach einer internen Abstimmung, einer Gehaltskürzung von fünf Prozent zugestimmt. "Die Times ist in einer schwierigen Lage", sagt Mulford. Der Aktienkurs ist im Keller, die Werbung eingebrochen, die Druckauflage geht zurück. Die Company musste ihren Wolkenkratzer verpfänden und einen teuren Kredit aufnehmen. Die Alternative zur Lohnkürzung wären Stellenstreichungen gewesen. Dabei wurden 2008 ohnehin bereits 100 Kollegen entlassen und jetzt sollen noch einmal so viele gehen. "Erstmals in der Geschichte der Times", sagt Mulford sorgenvoll. "Bislang gab es nur Buyouts", freiwillige Angebote. Netto hat die Times in den letzten fünf Jahren 150 Gewerkschaftsmitglieder verloren. Und die Guild sorgt sich, dass künftig vermehrt Billigkonkurrenz die Arbeit macht, Freie und Aushilfen. Bislang hat sie durchgesetzt, dass Aushilfen maximal sechs Monate arbeiten dürfen, dann ist ein Arbeitsvertrag fällig. Das würde das Management gerne aufweichen. Was passieren kann, sieht man am Boston Globe. Das Blatt, von der New York Times 1993 erworben, schreibt schwere Verluste. Nach Drohungen des Herausgebers, das Blatt zu schließen, haben die Gewerkschaften Einsparungen von zehn Millionen Dollar zugestimmt und auf lebenslangen Kündigungsschutz verzichtet. Nun steht die verschlankte Zeitung zum Verkauf. "Das ist schade", sagt Mulford. "Aber wir können wenig tun." Charles Bagli sorgt sich darum, was es bedeutet, wenn die redaktionelle Arbeit ins Internet abwandert. "Die Redakteurinnen und Redakteure bei der Times Online sind letztlich Arbeiter zweiter Klasse", sagt er. Sie verdienen weniger und müssen flexibler arbeiten. Eric Piepenburg von der Times Digital jedenfalls will so bald wie möglich einen Betriebsvertrag mit dem Management schließen, um Löhne und Arbeitszeiten zu sichern. "Aber das Problem ist die wirtschaftliche Lage der Branche", sagt er. "Streiken hilft da nicht."