Ausgabe 12/2009
Mission gescheitert
ANDREAS ZUMACH ist internationaler Korrespondent in Genf
"Frieden, wirtschaftlicher Wiederaufbau, Demokratie, Menschen- und Frauenrechte". An diesen im Herbst 2001 zu Beginn der NATO-geführten Afghanistan-Mission offiziell verkündeten Zielen gab es damals wenig Zweifel. Dass Afghanistan als Nachbar von Pakistan, Iran und den zentralasiatischen Republiken sowie als wichtigstes potentielles Transitland für Öl- und Gaspipelines aus diesen Republiken an den Indischen Ozean und aus Iran nach Indien und China auch von erheblicher geostrategischer Bedeutung ist, wurde - und wird bis heute - nur in der Friedensbewegung und der Linkspartei diskutiert.
Erhebliche Zweifel nicht nur der Friedensbewegung und der damaligen PDS, sondern auch bei zumindest einigen Bundestagsabgeordneten anderer Parteien gab es allerdings bereits im Herbst 2001, ob die offiziell erklärten Ziele der Afghanistan-Mission mit militärischen Mitteln erreichbar seien.
Leider sind die Skeptiker von der Entwicklung der letzten acht Jahre voll bestätigt worden. Die Afghanistan-Mission ist gemessen an ihren seinerzeit offiziell erklärten Zielen gescheitert und wirkt sogar kontraproduktiv. Unter der Rahmenbedingung eines ständig eskalierenden Krieges mit immer mehr toten Zivilisten, der immer größeren Hass auf die ausländischen Soldaten schafft und den Taliban neue Kämpfer und Unterstützung zutreibt, sind nachhaltige Stabilisierung und Wiederaufbau oder gar Demokratisierung und die Durchsetzung von Menschenrechten nicht möglich. Auch nicht in Regionen des Landes, die - wie das Stationierungsgebiet der Bundeswehr im Norden - einst als "ruhig" galten.
Deswegen ist es zunächst nur realpolitisch konsequent, wenn US-Präsident Barack Obama jetzt die Ziele der Mission deutlich abgespeckt hat. Es geht nicht mehr darum, den Afghaninnen und Afghanen Frieden, Demokratie und Menschenrechte zu bringen. Ziel ist nur noch die Herstellung zumindest oberflächlicher Stabilität, damit die USA und ihre NATO-Verbündeten ihre Truppen in einigen Jahren geordnet und unter Gesichtswahrung abziehen und die Mission als Erfolg verkaufen können. Doch auch dieses deutlich abgespeckte Ziel könnten USA und NATO - wenn überhaupt - nur erreichen, wenn sie den Krieg jetzt beenden und ihren Gegnern einen Waffenstillstand anbieten würden. Stattdessen soll die NATO-Streitmacht in den nächsten Monaten um mindestens 40 000 Soldaten aufgestockt und die Kriegsführung verstärkt werden. Mit dem von Obama erneut bekräftigten, aber völlig unrealistischen Ziel, Al-Quaida und die Taliban militärisch zu besiegen. Zugleich tragen die USA den Krieg immer stärker nach Pakistan hinein. Dadurch wird das bereits äußerst labile Nachbarland Afghanistans mit seinen 170 Millionen Einwohnern und einem Atomwaffenarsenal noch weiter destabilisiert.
Zweite Vorbedingung für eine zumindest oberflächliche Stabilisierung Afghanistans wäre ein konsequentes Vorgehen zur Eindämmung der Drogenökonomie mit politischen und wirtschaftlichen Instrumenten. Das hieße: glaubwürdige Anreize, Absatzmärkte und Einkommensgarantien für die bisherigen Opiumbauern Afghanistans zu schaffen, um sie nicht nur in einzelnen Pilotprojekten, sondern überall im Land zum Anbau anderer Produkte zu bewegen. Doch in Obamas angeblich "neuer Strategie" kommt das Drogenproblem nicht vor.
Die dritte Vorbedingung für einen Erfolg wäre, dass die USA und ihre Verbündeten endlich mit denjenigen Stammesführern, Warlords, Taliban oder anderen Kräften Verhandlungen aufnehmen, die tatsächlich lokal und regional die Macht und Kontrolle ausüben. Stattdessen setzt die NATO weiterhin auf die korrupte und weitgehend einflusslose Zentralregierung von Präsident Karsai, der durch seinen jüngsten Wahlbetrug die ohnehin nur schwache Legitimität seiner Regierung noch weiter unterminiert hat. Diese zentralistische Strategie war - auch unabhängig von den spezifischen Mängeln der Person Karsai und seiner Politik in den ersten fünf Amtsjahren - von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Denn fast niemals in der Geschichte Afghanistans hat es eine funktionierende Zentralregierung in Kabul gegeben, die tatsächlich die hoheitliche Macht über das ganze Land ausübt.
Unter diesen Umständen wird immer wahrscheinlicher, dass die NATO-Verbündeten in Afghanistan ein ähnliches Desaster erleben werden, wie die Sowjetunion in den 80er Jahren und die USA einst in Vietnam, und dass Präsident Obama 2012 nicht wiedergewählt wird.
"Die zentralistische Strategiewar von Beginn anzum Scheitern verurteilt."