Peter Hüfken jubelt nicht, kaum eine Miene verzieht der 55-jährige Behördenchef mit dem Vollbart. Eben erst hat der Arbeitsrichter ihm Recht gegeben, im Prinzip jedenfalls. Hat verkündet, dass der angeklagte Pizzeria-Betreiber der Stralsunder Arbeitsgemeinschaft (Arge) 6617,42 Euro überweisen muss. Geld, das die Hartz-IV-Behörde Beschäftigten des Restaurants zahlen musste, weil deren Löhne mitunter 1,50 Euro die Stunde unterschritten und zum Leben lange nicht reichten. Peter Hüfken hat an diesem Januar-Tag also mal wieder gewonnen bei seinem Kampf gegen die Ausbeuter der Stadt - aber nicht auf ganzer Linie. Rund 11000 Euro Steuergelder wollte der Arge-Geschäftsführer zurückhaben. Doch der Richter hat die Grenzen zum Unanständigen anders gezogen, weshalb Hüfken sagt: "Ich fühle mich bestätigt. Doch wir müssen unsere Argumentation auf eine breitere Basis stellen."

Anderthalb Jahre ist es her, dass der gebürtige Rheinländer, der kurz nach der Wende in den Osten zog, erstmals gegen einen Arbeitgeber Klage erhob. 60 Mal hat die Stralsunder Arge inzwischen Geld gefordert von Unternehmern, die sittenwidrige Löhne bezahlt haben. Dabei kann sie sich seit April 2009 auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts berufen. Demnach ist ein Lohn sittenwidrig, wenn er weniger als zwei Drittel der tariflichen oder ortsüblichen Vergütung beträgt.

Rund 64000 Euro Steuergelder hat die Behörde bislang zurückgeholt, wenn nötig mit Hilfe des Gerichts. Zehn Klagen gegen fünf Arbeitgeber sind anhängig. Nicht nur Beschäftigte in der Gastronomie leiden unter Hungerlöhnen. Sondern auch "Mitarbeiter in der Hauswirtschaft, Kraftfahrer im Behinderten- und Krankentransport, Altenpflegehelfer, Schwesternhelfer, aber auch Bürokräfte in Vereinen oder gemeinnützigen Einrichtungen", so Hüfken. Warum er als bundesweit einziger Geschäftsführer einer Arge gegen Lohnwucher kämpft? "Ich finde es ungerecht und unanständig, was da passiert", sagt er, der seit fünf Jahren die Geschicke der Stralsunder Arge lenkt und zuvor der Leiter der Widerspruchsstelle der Agentur für Arbeit war.

Am Tiefpunkt – 26 Cent pro Stunde

Angefangen habe alles 2007 mit der Frage, was die Behörde für so genannte Aufstocker tun könne - jene Menschen also, deren Lohn zum Leben nicht ausreicht und die deshalb auf ergänzende Hilfe angewiesen sind. "Bei näherer Betrachtung stießen wir dann auf eine ganze Reihe Fälle, in denen kontinuierlich niedrige Stundenlöhne gezahlt wurden", so Hüfken. Trauriger Tiefpunkt bisher: ein Zimmermädchen, dass für 26 Cent pro Stunde arbeiten ging. Nachdem gute Worte wiederholt nicht zu besseren Löhnen führten, entschied die Behörde sich für den Gang vors Gericht - "ungeachtet der damals noch sehr unsicheren Rechtslage".

Gewerkschafter begrüßen das Engagement des streitlustigen Amtsleiters: "Ich bewundere Herrn Hüfken sehr. Er hat völliges Neuland betreten", sagt Volker Schulz, Vorsitzender des DGB Vorpommern. Nicht nur er fordert nun andere Argen auf, dem Stralsunder Vorbild zu folgen: "Stundenlöhne von 1,50 oder 2 Euro sind eine Katastrophe - und bis jetzt steht der Steuerzahler dafür gerade!"

Der Bundesagentur für Arbeit (BA) ist nicht bekannt, dass eine der 345 anderen Argen in Deutschland vergleichbar gegen Dumpinglöhne vorgeht - es gebe aber "keine Meldepflicht", so eine Sprecherin. Im Übrigen gelte, "dass die Grundsicherungsstellen in Fällen auffälliger, sittenwidriger Lohnzahlungen (im Regelfall deutlich unter 3 Euro pro Stunde) gehalten sind, die Arbeitsentgeltansprüche durchzusetzen". Ulrich Jonas