Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen hat das Bundesverfassungsgericht die Regierung zum Nachbessern eines Gesetzes aufgefordert. Erst monierten die Karlsruher Richter die Berechnung der Regelsätze nach den Hartz-Gesetzen, jetzt kippten sie das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Als einen "Befreiungsschlag für die Presse- und Koalitionsfreiheit" bezeichnete der stellvertretende ver.di-Vorsitzende Gerd Herzberg die Entscheidung. "Endlich wird der blinden Datensammelwut des Staates etwas entgegengesetzt." Das Gesetz zur Massenspeicherung von Telefon- und Internetverbindungen hätte dazu eingeladen, "in blindem Aktionismus Daten in gefährlich großer Menge anzuhäufen". Die müssen jetzt erst einmal gelöscht werden.

Herzberg bemängelt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers private Stellen wie Telekommunikationsunternehmen dazu eingesetzt werden sollten, den Vollzug des geplanten Gesetzes überhaupt zu ermöglichen. "Zu welchem Missbrauch das führen kann, zeigen gerade die immer wieder bekannt gewordenen Verstöße von Unternehmen gegen den Datenschutz", sagte Herzberg. Die Bürger/innen konnten sich gegen die Speicherung auch nicht durch eine einfache Willenserklärung wehren. "Dass das Gericht dem nun einen Riegel vorschiebt, ist ein Erfolg für die Demokratie und die Meinungsvielfalt in unserem Land", betonte der ver.di-Vize.

Risiken ergeben sich auch durch Elena

ver.di hatte 2008 eine Verfassungsbeschwerde erhoben, weil sie neben der Presse- und Telekommunikationsfreiheit auch die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft durch die Vorratsdatenspeicherung gefährdet sieht. Die gewerkschaftsinterne Kommunikation unterliegt der durch das Gesetz drastisch erhöhten Zugriffsgefahr durch Unbefugte. In Zusammenhang mit dem Karlsruher Urteil warnte Herzberg vor den Risiken, die sich durch den elektronischen Entgeltnachweis (Elena) ergeben.

Der Europäische Gerichtshof hat mittlerweile unter dem Aktenzeichen C-518/07 entschieden, dass die Bundesländer Firmen und Verbände bei der Verwendung persönlicher Daten von Bürger/innen besser kontrollieren müssen. Die Datenschutzbehörden seien bei der Aufsicht im privaten Bereich nicht unabhängig genug. Damit verstoße Deutschland gegen EU-Recht. Das Urteil bezieht sich auf Behörden wie Regierungspräsidien oder Ministerien, die in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen als Datenschutzstellen agieren. Nicht betroffen sind die Datenschutzbeauftragen der Länder, die den öffentlichen Bereich beaufsichtigen. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, begrüßte das Urteil.

Mit dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, über das das Bundesverfassungsgericht geurteilt hat, hat die Bundesrepublik eine EU-Richtlinie umgesetzt. Die zuständige EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström hat jetzt angekündigt, dass bis Ende des Jahres überprüft werden soll, ob die EU-Richtlinie angemessen und effektiv sei. Es seien allerdings keine Änderungen der Richtlinie vorgesehen. Die Karlsruher Richter hatten das deutsche Gesetz zwar gekippt, aber die EU-Richtlinie nicht in Frage gestellt.

Gegner von Vorratsdatenspeicherungen wollen nach dem Urteil auch die EU-Richtlinie zu Fall bringen. "Andere Länder profitieren von diesem Urteil nicht, also wollen wir unseren Protest über die Grenzen ausweiten", hatte der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung nach dem Karlsruher Urteil mitgeteilt. Er hat zugleich angekündigt, auch europaweit gegen das massive Speichern von Kommunikationsdaten kämpfen zu wollen.

Der Konstanzer Datenschützer Werner Hülsmann, der auch Mitglied im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ist, versteht das Urteil als "Vorgabe für alle Datensammlungen". An den Maßstäben aus Karlsruhe müssten sich auch die Speicherung von Flugpassagierdaten oder das Elena-Verfahren zur digitalen Übertragung von Arbeitnehmerdaten messen lassen. "Der großzügigen Abruf-Erlaubnis haben die Verfassungsrichter generell eine Riegel vorgeschoben", betonte Hülsmann.

hla/dpaAz: 1 BvR 256/08

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