DR. SABINE REINERS arbeitet im Bereich Wirtschaftspolitik beim ver.di-Bundesvorstand

Frau Müller und Herrn Maier war längst klar, dass Steuersenkungen in der gegenwärtigen Situation eine närrische Idee sind. Dazu brauchten sie nicht erst auf die Ergebnisse der Steuerschätzung zu warten. Im Gegenteil: Die meisten Menschen haben sich darüber geärgert, von der Regierung für dumm verkauft zu werden. Monatelang hat sie mit penetrantem Hinweis auf die Unwägbarkeit der Steuerschätzung Entscheidungen verweigert.

Die öffentlichen Haushalte müssen in diesem und in den nächsten Jahren mit jeweils rund 100 Milliarden Euro weniger auskommen, als in Vorkrisenzeiten erwartet wurde. Diese Tatsache ist seit über einem Jahr bekannt. Die Mai-Schätzung hat dieses Ergebnis lediglich noch ein wenig "verfeinert": Es werden nochmals jährlich 12 bis 14 Milliarden Euro weniger sein.

Der Rückgang ist durch Krise und Antikrisenpolitik verursacht. Dafür Geld in die Hand zu nehmen, war vernünftig. Allerdings sieht eine zielgerichtete Stabilisierung der Konjunktur anders aus: Steuersenkungen sind grundsätzlich weniger wirksam als direkte staatliche Ausgaben. Erst recht, wenn von Entlastungen höhere Einkommen stärker profitieren oder lediglich Sonderinteressen von reichen Erben und Hoteliers bedient werden. Daher war die Steuerpolitik zur Abmilderung der Krisenfolgen eine Fortsetzung der Vorkrisenpolitik: Umverteilung von unten nach oben und gleichzeitiges Ausbluten der öffentlichen Haushalte. Ohne die Steueränderungen der letzten zehn Jahre lägen die Einnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden heute jährlich um 50 Milliarden Euro höher.

Solide Haushaltspolitik erfordert ausreichende Einnahmen. Nur dann können wir künftigen Generationen eine intakte Infrastruktur, motiviertes Erziehungs- und Lehrpersonal und eine lebenswerte Umwelt bieten. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch: Einführung einer Vermögenssteuer und eine Steuer auf Finanzspekulation. Und endlich wieder mehr Steuern von finanzstarken Unternehmen, reichen Erben und aus hohen Einkommen.