LUCAS ZEISE ist Finanzkolumnist bei der Financial Times Deutschland

Das 750 Milliarden Euro umfassende Rettungsprogramm für die gemeinsame Währung markiert das endgültige Scheitern deutscher Wirtschafts- und Europapolitik. Alle deutschen Regierungen seit Helmut Kohl haben den Grundsatz hochgehalten, die Euro-Staaten dürften sich bei der Finanzierung ihrer Staatshaushalte nicht beistehen, sondern müssten das verheerende Prinzip des Standortwettbewerbs auch auf ihre Finanzierung anwenden. Nur so - das tönten die neoliberalen Vorbeter und so wiederholten es brav Regierung, Presse und Finanz-"Experten" der staatstragenden Parteien - werde Disziplin walten und Euroland kein Schuldenland werden. Im Weltbild der Bundesregierungen von Kohl bis heute kam der Gedanke einfach nicht vor, dass es im eigenen Geschäftsinteresse sein kann, Unterstützung zu leisten - um das im Verhältnis von Regierenden untereinander völlig unpassende Wort Solidarität zu vermeiden. Hätten sie es begriffen, dann hätten sie wohl kaum so überzeugend die einfache Wahrheit verschwiegen, dass die deutschen Unternehmen den größten Vorteil aus der Währungsunion ziehen, ganz einfach deshalb, weil sie die bei weitem größten Exporteure sind. Das zu verschweigen, war eine politische Torheit, die sich jetzt endlich rächt - in Form der Wahlabstinenz der gläubigen Konservativen.

Die Finanzkrise hat der Illusion ein Ende gemacht. Die Staaten haben seit 2008 für die Schulden "ihrer" Banken garantiert und sich damit übernommen. Zugleich brechen ihnen in der Krise die Steuereinnahmen weg. Es folgt daher die Krise der Staatsfinanzen. Von ihr sind die schwächeren wie Griechenland zunächst betroffen. Die anderen werden folgen. Das Griechenland-Problem war zunächst klein und hätte von den Euroländern gemeinsam leicht gelöst werden können. Der griechische Staat ist hoch verschuldet, höher als die meisten anderen Euroländer, aber andererseits nicht so hoch wie zum Beispiel Japan. Als Griechenland Schwierigkeiten hatte, am internationalen Finanzmarkt Kredit aufzunehmen, hätte eine rechtzeitige Garantieerklärung der wichtigsten Euroländer die Lage bereinigt. Die Garantie hätte nicht annähernd die Summe von 480 Milliarden Euro erreichen müssen, die allein die deutsche Regierung für "ihre" Banken im Herbst 2008 aus dem Hut gezaubert hat.

Die Bundesregierung sperrte sich - aus den genannten ideologischen Gründen. Sie beharrte im Gegenzug darauf, dass die Sparauflagen für die griechische Regierung von Mal zu Mal härter wurden. Es ist kein Wunder, dass die Spekulation auf einen griechischen Staatsbankrott entsprechend zunahm. Die Beschreibung allerdings, man habe es nur mit einer Attacke von Spekulanten auf die finanziell schwächeren Euro-Länder zu tun, verniedlicht die Sache. Es sind vor allem Banken und Versicherungen, die Einlagen und Prämien ihrer Kunden vermeintlich sicher in griechischen, portugiesischen und irischen Staatsanleihen angelegt haben und nun das Weite suchen.

Wenn sich die bisherige Ausrichtung deutscher EU- und Schuldenpolitik als grundfalsch und nicht durchzuhalten herausstellt, heißt das leider noch lange nicht, dass die neue, von Frankreich vorgetragene und von Berlin widerwillig akzeptierte Politik das Problem lösen wird. Die jetzt gefundene Lösung - sehr viel Kredit der finanziell starken Euroländer für die schwächeren - dürfte das Problem tatsächlich zunächst entschärfen. Aber es wird damit nicht verschwinden. Zumal das Programm von einer rigorosen Sparpolitik in den schwächeren Ländern mitten in der Weltwirtschaftskrise begleitet sein wird. Das kann nicht gut gehen.

Besser wäre ein von der Gruppe der Euroländer veranstalteter Umschuldungsplan. Das würde bedeuten, dass die Gläubiger, also die oben genannten Banken und Versicherungen, nur einen Teil ihres den Staaten geliehenen Geldes zurückerhalten würden. An den Finanzmärkten wird dieses Szenario längst gespielt und - wieder verniedlicht - als "Haircut" angepriesen. Wenn man das macht, sollte man schon einen Kurzhaarschnitt wählen. Argentinien hat 2001/02 auf diese Weise - ohne internationales Ab- kommen - etwa 70 Prozent seiner Schulden gestrichen.

Es gibt zwei Gründe, warum eine solche Lösung so lange wie möglich vermieden wird: Erstens, sie schadet den Banken, den Versicherungen und den Sparern. Diese drei vor dem Finanzdesaster zu bewahren, ist aber höchstes Regierungsziel. Zweitens dürfte US-Präsident Obama in seinen jüngsten Telefonaten mit Frau Merkel und Herrn Sarkozy die beiden nachdrücklich gebeten haben, von einem Schuldenschnitt abzusehen.

"Die Banken und Versicherungen vor dem Finanzdesaster zu bewahren, ist aber höchstes Regierungsziel."