Lebst Du schon oder bist Du bei Facebook?

Massenhaft sitzen junge Leute vor Bildschirmen - in ihrer eigenen Welt

Von Hans Wille

"Ich finde Computer doof, da lass ich meine Kinder nicht ran!" Tatsächlich gibt es noch Eltern, die das sagen, wenn sie in Hamburg zu den Eltern-Medien-Lotsen kommen. Barbara Lenke, ver.di-Mitglied und Diplom-Pädagogin mit Schwerpunkt Erziehungsberatung, gehört seit einem Jahr zu den Lotsen. Sie ist eine ruhige, besonnene Frau. Doch wenn sie solch eine Meinung hört, wird sie ungehalten: "Der Computer gehört längst zur beruflichen Realität", sagt sie den Eltern. "Wie soll Ihr Kind sich später zurechtfinden, wenn es heute mit seinen zwölf Jahren nicht an den Computer darf?" 15 speziell geschulte Pädagoginnen und Pädagogen sind die Eltern-Medien-Lotsen. Sie informieren Gruppen von Eltern über Themen wie Ballerspiele, Computersucht, Chatten, Soziale Netzwerke, Handynutzung oder Cybermobbing.

Für immer im Netz

Die Kinder und Jugendlichen von heute wachsen mit Medien auf, von denen ihre Eltern und Großeltern oft keine Ahnung haben. Die jungen Leute verfügen über eine hohe technische Kompetenz. Selbstverständlich präsentieren sie sich in sozialen Netzwerken wie Schüler VZ oder Facebook, stellen selbstgedrehte Handyfilme ins Internet und spielen online vernetzt Computerspiele. Laut Umfrage des Kinderzeitschriften-Verlags Ehapa besitzen 73 Prozent aller 10- bis 13-Jährigen ein Handy, mit dem sie Musik hören, Fotos und Filme aufnehmen. 87 Prozent derselben Altersgruppe surfen im Internet. Wissen all die jungen Medienprofis, dass die freiwillig bei Schüler VZ oder Facebook veröffentlichten Daten meist für immer im Netz aufzufinden sind? Ahnen sie, dass ihnen ein Foto Jahre später bei der Jobsuche unangenehm werden kann? Kennen sie das "Recht am eigenen Bild", das ihnen verbietet, das Konterfei von Freunden ohne deren Zustimmung ins Netz zu stellen?

Die junge Frau, die bei Schüler VZ zu einer Party einlud, weil die Eltern verreist waren, und die von hundert ungebetenen Gästen überrollt wurde, ist nicht die Regel. Doch täglich kommt es in Deutschland zu Fällen von Cybermobbing, werden peinliche Bilder, ungewollte Äußerungen und Verleumdungen ins Netz gestellt, die den Betroffenen bloßstellen und verunsichern: Wer hat welche Geschichten über mich im Netz gesehen? Beim so genannten Happy Slapping werden Unbeteiligte geschlagen, ihre Reaktion wird gefilmt und allen zugänglich gemacht. Cyber Bullying meint das gezielte Streuen von Gerüchten im Netz. Oder: Peinliche Situationen werden bewusst herbeigeführt und gefilmt. Hauptsache, der Betroffene wird lächerlich gemacht. Jeder sechste Jugendliche in Deutschland war schon Opfer von Cybermobbing, so das Ergebnis einer Studie der Universität Koblenz-Landau.

Aufklärung für Eltern

"Hier herrscht großer Aufklärungsbedarf bei den Eltern", sagt Henning Fietze. Der Medienpädagoge hat die Idee der Eltern-Medien-Lotsen in Hamburg umgesetzt. "Durch die Verbreitung der sozialen Netzwerke ist die Nachfrage nach solchen Informationen sprunghaft gestiegen", sagt Fietze. "Die Sorge der Eltern wächst mit jeder Debatte über Killerspiele und jedem Datenskandal bei Facebook und Schüler VZ."

So wurde im Februar 2010 bekannt, dass Facebook sogar Daten von Menschen sammelt, die selbst nicht im Netzwerk angemeldet sind. Sie bekamen plötzlich Einladungen zu Facebook, scheinbar von Bekannten, die schon Mitglieder waren, tatsächlich aber ohne Wissen dieser Leute. Zuletzt hat ein Informatikstudent im Mai 2010 rund 1,6 Millionen Datensätze meist jugendlicher Mitglieder bei Schüler VZ ausgelesen und an eine Redaktion geschickt, um zu beweisen, wie einfach das möglich ist. Leiter/innen von Kindergärten, Schulen oder Vereinen oder aber die Eltern selbst rufen beim Hamburger Bürger- und Ausbildungskanal TIDE an, um einen Lotsen zu engagieren. Jeder fünfte Anruf wird durch einen aktuellen Fall von Cybermobbing ausgelöst. Einmal haben sogar Schüler den Medienlotsen für ihre Eltern bestellt. Die Begründung der "Digital Natives", der jungen Leute, die schon mit den Onlinemedien groß geworden sind: "Wir sind Pro-Gamer. Unsere Eltern verstehen das nicht. Die führen jetzt die Verbotsdebatte. Könnten Sie bitte unsere Eltern informieren?" Eigentlich sind die Schüler nicht bei den Elternabenden dabei, aber in diesem speziellen Fall saßen sie mit ihren Eltern zusammen am Tisch.

Welcher der freiberuflichen Elternmedienlotsen den jeweiligen Auftrag übernimmt, hängt vom Thema ab, über das die Eltern sich informieren wollen. Und vom Alter der Kinder oder Jugendlichen. Barbara Lenke übernimmt meist Abende zu den Themen Computer und Social Web, nach denen oft von Eltern mit Kindern in sechsten oder siebenten Klassen gefragt wird. "In der Regel wollen die Eltern einen Überblick erhalten, welche Probleme es gibt", sagt Barbara Lenke. Dann fragen sie: Woran merke ich, ob mein Kind Vielspieler ist? Ob es computersüchtig ist? Wo sollen wir als Eltern die Grenze ziehen? Was ist noch normal? Was darf mein Kind? Neben den überängstlichen Eltern, die ihr Kind am liebsten überhaupt nicht an den Computer lassen würden, erlebt Lenke auch Mütter und Väter, die ein schlechtes Gewissen haben, weil sie ihr Kind vor dem Fernseher oder dem Computer parken. "Ich schätze es, dass diese Eltern überhaupt kommen. Ich glaube, sie fürchten, dass ich ihnen sage: ,Sie machen alles falsch. Stattdessen versuche ich ihnen zu verdeutlichen, dass natürlich alle unsicher sind, was richtig oder falsch ist, wo die Grenzen liegen. Aber letztlich müssen die Eltern, nachdem sie sich informiert haben, selbst entscheiden, was für ihr Kind gut ist."

Konkrete Handlungsanweisung vermeidet Barbara Lenke. Sie will die Eltern ermutigen, Verständnis für ihre Kinder zu entwickeln und sie beim Umgang mit den Medien zu begleiten: "Reden Sie mit Ihren Kindern und begleiten Sie sie, indem Sie mit ihnen zusammen Urlaubsfotos bearbeiten und Computerspiele oder die vom Internet gestützte Schnitzeljagd Geocaching spielen."

Eine Warnung gibt Barbara Lenke den Erwachsenen jedoch immer mit auf den Weg: "Bringen Sie Ihren Kindern bei, dass sie im Internet keine Namen preisgeben, keine Telefonnummern, keine Adressen! Was einmal im Netz steht, ist für immer auffindbar. Selbst in einem vermeintlich geschlossenen Chat kann jeder alles sehen, wenn er das will. Die Kinder glauben das oftmals nicht."

Zielgruppe Jugendliche

Das ist auch die Erfahrung von Uwe Debacher: "Als Gymnasiallehrer kann ich sagen: An der Medienkompetenz meiner Schüler fehlt es." Sein Schlüsselerlebnis: Als er vor drei Jahren an seine jetzige Schule gewechselt ist, hat sich der Chemielehrer bei Schüler VZ über seine neue elfte Klasse informiert. Viele der Jugendlichen gaben im Netz Chemie als ihr Hassfach an. Im Unterricht fragte er sie dann, warum gerade dieses Fach so verhasst sei? "Den meisten Schülern blieb die Sprache weg", erinnert sich Debacher. "Wieso sind Sie bei Schüler VZ?", fragten sie. Da kommt kein Erwachsener rein, glaubten alle in der Klasse. Seitdem beschäftigt sich Debacher mit dem Thema Medienkompetenz.

Seine Zielgruppe sind die Jugendlichen. Als Dozent an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg schraubt er mit seinen Studenten am Internetauftritt www.netzdurchblick.de. Die Seite will 12- bis 16-Jährigen spielerisch das Benutzen des Internets näher bringen, soll ihnen Tipps für das richtige Verhalten, auch Warnungen vor Risiken und Gefahren vermitteln. Ohne erhobenen Zeigefinger, stattdessen mit jeder Menge Anregung zur kreativen Nutzung der digitalen Medien: Wie kann ich Musik, Fotos und Filme herstellen, bearbeiten, online stellen? Wie recherchiere ich im Netz? Wie lege ich einen Account bei Schüler VZ an? Dazu eine kleine Einführung in rechtliche Fragen wie Datenschutz, Urheberrecht, Abzockfallen. Natürlich spielt auch Cybermobbing eine Rolle. Wie schütze ich mich davor, Opfer zu werden? Oder Täter?

Der Grad zwischen Opfer und Täter kann erschreckend schmal sein. Auch Schüler von Uwe Debacher haben schon für einen unbeliebten Mitschüler einen gefälschten Account bei Schüler VZ angelegt und negative Inhalte darin veröffentlicht. Was die Täter als witzige Aktion ansehen, kann für den Betroffenen zu einer ernsthaften psychischen Belastung führen. In Großbritannien haben sich schon mindestens drei junge Mädchen nach einem solchen "Scherz" das Leben genommen. So im September 2009 die 15-jährige Holly Grogan, weil mehrere Mädchen sie immer wieder auf ihrer Facebook-Seite beschimpft hatten. Dazu kam Mobbing in der Schule.

Online ist es oft nicht möglich, die Verursacher einer Welle von Cybermobbing zu ermitteln. Für die Opfer sieht es dann schnell so aus, als wäre die ganze Welt gegen sie. Henning Fietze ist sich sicher: "Die Zeiten werden härter: Die Elternmedienlotsen werden noch lange nicht arbeitslos."

Wegweiser und Tipps

www.internet-abc.de In Schnuppertouren finden Kinder und Erwachsene gemeinsam den spielerischen Einstieg ins Internet. Mit Unterrichtsmaterialien und Hausaufgabenhilfen.

www.seitenstark.de Arbeitsgemeinschaft vernetzter Kinderseiten. Als Startseite für Kinder zu empfehlen.

www.spielbar.de Pädagogische Beurteilungen von Computerspielen der Bundeszentrale für politische Bildung.

www.bsi-fuer-buerger.de Hinweise und Anleitungen zur Erstellung von Benutzerkonten, Nutzung von Filterprogrammen etc.

www.surfer-haben-rechte.de Tipps zu Netzwerken im Internet auf der Website der Verbraucherzentrale.

www.chip.de/news/Facebook-Account-loeschen-so-funktioniert-s_43025561.html Wenn man Facebook verlassen oder den eigenen Account besser kontrollieren will.