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Protest der Gruner + Jahr-Beschäftigten, die noch in ihren Hamburger Redaktionsbüro die Magazine produzieren, die RTL einstellen oder verkaufen willFoto: Brandt/picture alliance/dpa

Nur 15 Monate nach der Fusion des Traditionsverlags Gruner + Jahr mit RTL Deutschland zerschlägt der Mutterkonzern Bertelsmann das Unternehmen. Bis auf einige Kerntitel werden die meisten Zeitschriften eingestellt oder verkauft. Allein in Hamburg droht der Abbau von mindestens 700 Arbeitsplätzen.

Im Februar 2022 hatte es noch anders geklungen. Ein gemeinsames Inhalte-Reich aus TV, Zeitschriften, Radio und Musik unter dem Dach von RTL Deutschland sollte entstehen. Alle Medienangebote gebündelt in einer nutzerfreund- lichen, selbstredend kostenpflichtigen "One App, All Media-App". Von einem "nationalen Champion" hatte Bertelsmann-Vorstandschef Thomas Rabe geschwärmt, der helfen solle, globalen Tech-Plattformen wie Google, Facebook & Co. Paroli zu bieten.

Davon ist längst keine Rede mehr. Die groß angekündigten "crossmedialen Synergien" zwischen Print und TV finden nicht statt, die Strategie einer breiten gemeinsamen Inhalte-Vermarktung wie zum Beispiel beim gedruckten Stern und Stern TV funktioniert nicht: Der TV-Sender RTL – von der Branche einst als Kürzel für "Rammeln, Töten, Lallen" verspottet – zieht schlichtweg ein ganz anderes Publikum an als die meisten Zeitschriften aus dem Portfolio von Gruner + Jahr.

"Vielen Freien brechen die Standbeine weg, der Auftragsverlust entspricht nicht selten der Hälfte ihres Monatsverdienstes."
Sigrid März, Vorsitzende des Freischreiber-Verbands

Die Folgen der verfehlten Strategie bekommen nun die Beschäftigten zu spüren. Am 7. Februar verkündete Rabe ein dramatisches Schrumpfprogramm. 23 Zeitschriften werden eingestellt oder verkauft. Behalten will der Konzern nur einige Kernmarken inklusive diverser Ableger. Stern, Geo, Capital, Stern Crime, Brigitte, Gala droht wohl keine Gefahr. Ebenso wenig Schöner Wohnen, Häuser, Couch, Geolino, Geolino mini sowie den Digitalausgaben von Eltern und Chefkoch. Diese Titel machen nach Unternehmensangaben etwa 70 Prozent des Umsatzes aus. Bis 2025 sind – vor allem beim Stern – Investitionen von rund 80 Millionen Euro geplant. Geo Epoche kann noch – nach viel öffentlicher Fürsprache – auf ein Weiterleben hoffen.

Längst haben zahlreiche große Verlage Interesse am Kauf einzelner Marken geäußert. Konkrete Verhandlungen wurden vom Konzern bislang dementiert. Jüngst aber hat sich RTL nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung mit einem Brief an in Frage kommende Käufer gewandt. Diese sollen nach Abgabe einer Vertraulichkeitserklärung wirtschaftliche Informationen zu den jeweils gewünschten Zeitschriftentiteln erhalten. Bis einschließlich 27. März können sie nun ihr Angebot in Form einer "verbindlichen Absichtserklärung" abgeben.

"Unfassbare Wertezerstörung"

Weit gediehen sind offenbar Gespräche zwischen RTL und dem Landwirtschaftsverlag Münster. Dieser will seinen 50-prozentigen Anteil am Joint Venture beider Unternehmen auf 100 Prozent aufstocken. Gelingt dies, gehen demnächst Titel wie Landlust, Living at home und Flow ganz in den Besitz der Westfalen über.

Zurück bleibt aber der Eindruck eines Abrissprojekts. Als "unfassbare Wertzerstörung" und "desaströse Managementleistung" verurteilte der langjährige Geo-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede das Vorgehen der Geschäftsleitung. Rabe sei dabei, "einen der wertvollsten Medienschätze der deutschen Nachkriegsgeschichte zu verscherbeln, womöglich zu verschrotten". G+J war zu seinen Blütezeiten der größte Zeitschriftenverlag Europas und gehörte jahrzehntelang zu den einflussreichsten Medienhäusern in Deutschland.

Noch 2021 war G+J im Bertelsmann Geschäftsbericht als profitabel ausgewiesen worden, mit einem Gewinn von 134 Millionen Euro. Den jetzigen Kahlschlag-Kurs begründet der Konzern mit zwei Entwicklungen: einerseits mit den seit Jahren schrumpfenden Werbeeinnahmen aus dem Printanzeigengeschäft, andererseits mit der Kostenexplosion im Produktionsprozess, vor allem durch Preissteigerungen bei Papier, Energie und Vertrieb. Allerdings schneidet G+J auch im Digitalgeschäft aufgrund langjähriger Versäumnisse schlechter ab als die Konkurrenz.

Laut Konzernbeschluss soll nun bis Ende 2025 schrittweise der Stellenabbau durchgezogen werden. Der überwiegende Teil der Streichungen betreffe demnach nicht den redaktionellen Bereich, sondern Jobs in der Verwaltung. Kalkuliert werde darüber hinaus mit dem Wegfall von etwa 200 Stellen, die durch den geplanten Verkauf einzelner Titel auf neue Eigner übergehen würden. Die Streichung von insgesamt 700 Stellen betrifft somit mehr als jede dritte der 1.900 Vollzeitjobs, die in der Hamburger Zeitschriftensparte angesiedelt sind. Zudem sollen auch beim TV-Sender RTL an die 300 Jobs wegfallen.

Nach anfänglichem Entsetzen und vereinzelten Protesten schwankt die Stimmung der Belegschaft "zwischen Wut und Resignation", sagt Tina Fritsche, ver.di-Gewerkschaftssekretärin in Hamburg. Bislang seien noch keine Kündigungen ausgesprochen worden. Aus dem Konzern dringe nur wenig nach außen. Der Konzernbetriebsrat versuche, in Verhandlungen möglichst gute Abfindungen für die betroffenen Beschäftigten auszuhandeln.

Wie viele Menschen genau vom Kahlschlag betroffen sein werden, ist noch völlig unklar. Der Abbau von Stellen sagt nichts über die Zahl der betroffenen Teilzeitkräfte aus. Einen besonders herben Verlust bedeutet der Ausverkauf für die vielen Journalist*innen, die frei für die Magazine von G+J gearbeitet haben. "Vielen Freien brechen die Standbeine weg, der Auftragsverlust entspricht nicht selten der Hälfte ihres Monatsverdienstes", sagt Sigrid März, Vorsitzende des Freischreiber-Verbands, in dem sich rund 800 hauptberufliche Freie organisiert haben. Auf einen "goldenen Handschlag" dürfen sie nicht hoffen, ein "Anspruch auf irgendeine Entschädigung besteht selbst nach langjähriger Tätigkeit für ein Magazin nicht". Im Gegenteil hat für viele Betroffene der Kampf um Ausfallhonorare begonnen. "Bereits vergebene Aufträge werden storniert", sagt März, selbst fertig abgelieferte Beiträge "kurzfristig gecancelt".

Für ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz spiegelt sich in der Entscheidung des Bertelsmann-Konzerns die "Unfähigkeit, ein profitables und europaweit beachtetes Zeitschriftenhaus in die digitale Transformation zu führen". Die "fehlgeleitete Strategie aus Gütersloh" schneide dem Medienstandort Hamburg und der Presselandschaft "ein großes Stück Vielfalt" heraus. "Ohne Rücksicht auf die Leistungen und den Wert der Verlagsbelegschaft werden nun hunderte Menschen Ihre Arbeit verlieren, die bis jetzt noch zu den Gewinnen in der Bilanz des Konzerns beigetragen haben", so Schmitz. Es müssten "alle Alternativen für den Erhalt der Arbeitsplätze und der Medienvielfalt geprüft werden". Entsprechende Schritte erwarte er auch von der Medienpolitik.

Hamburgs Kultur- und Mediensenator Carsten Brosda solidarisiert sich mit den G+J-Mitarbeiter*innen. Er hofft, "dass die einmalige journalistische Tradition von Gruner + Jahr nicht nur nach aktuellen Marktgegebenheiten und den Interessen des Fernsehsenders RTL bewertet" werde. Er bot bereits an, bei Bedarf mit Wirtschaftsfördermitteln Verlagsmitarbeiter zu unterstützen, die über ein Management-Buy-out nachdenken, also über den Kauf von Magazinen und deren Weiterführung in Eigenregie. SPD-Mann Brosda befürchtet, dass die drastischen Entscheidungen des Bertelsmann-Konzerns Auswirkungen auf die gesamte Verlagsbranche haben könnten. Irgendwann werde dann möglicherweise die Frage gestellt: "Lohnt es sich überhaupt noch, in Journalismus zu investieren?"

Die RTL-Streichliste

Neue Besitzer suchen die Zeitschriften Business Punk, Art, P.M., Beef und Salon. Ebenfalls zum Verkauf stehen die Beteiligungen am Fußballmagazin 11 Freunde und der 50-Prozent-Anteil an der Verlagsgruppe Deutsche Medienmanufaktur in Münster, zu denen die Magazine Landlust und Essen & Trinken gehören.

Abgewickelt werden Ableger von Kernmarken wie Geo Wissen, Brigitte Woman, View und die beiden Personality-Magazine Guido um Modedesigner Guido Maria Kretschmer und Barbara um TV-Moderatorin Barbara Schöneberger.