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Jahrelang lief der Arbeitsalltag im Lager Herne des Discounters Lidl ruhig und friedlich. Ungefähr 230 Beschäftigte, ihr siebenköpfiger Betriebsrat und der Betriebsleiter kamen gut miteinander aus. Damit ist seit 2022 Schluss. Betriebsräte und ver.di bekommen nur noch Gegenwind. Viele Konflikte werden vor Gerichten ausgetragen.

Das neue raue Klima herrscht seit der Einsetzung eines neuen Betriebsleiters. Diesem eilte der Ruf voraus, von Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften wenig zu halten. Diese Haltung soll er an seinem vorherigen Arbeitsplatz im Lidl-Lager Kamp-Lintfort bereits an den Tag gelegt haben. 2022 wurde er offenbar in Herne als Mann fürs Grobe benötigt, da Lidl dort ein neues, erheblich größeres Lager baut. "Von Anfang an stellte der neue Chef klar, dass kritische Nachfragen zum Umzug weder vom Betriebsrat noch von der Gewerkschaft erwünscht sind", sagt Azad Tarhan, ver.di-Sekretär für den Handel im Bezirk Mittleres Ruhrgebiet.

In den neuen Hallen, direkt gegenüber des heutigen Lagers, sollen zukünftig mindestens 400 Menschen mit neuester Technik arbeiten. Der Umzug beginnt voraussichtlich im September. "Ab 2026 wird es dann wohl ein großes Frischelager mit Kühlbereich im neuen Gebäude geben. Solche gravierenden Veränderungen bringen auch immer Veränderungen für die bestehenden Beschäftigten mit sich", erläutert Azad Tarhan. Arbeit bei Kühlschranktemperaturen ertrage nicht jede*r. Auch weitere Änderungen, zum Beispiel bei Arbeitszeiten und der Wochenendarbeit wolle Lidl zu Lasten der Beschäftigten durchsetzen. ver.di und der Betriebsrat haben deshalb über die möglichen Konsequenzen informiert.

Einschüchterungen

"Sogleich hieß es, dass wir nur zündeln und Unruhe in den Betrieb brächten", sagt Tarhan. Dabei sei die große Mehrheit der Belegschaft auf der Seite der Arbeitnehmervertretung und Gewerkschaft. Viele Beschäftigte könnten sich jedoch nicht besonders gut auf Deutsch ausdrücken, denn sie kommen aus der Türkei, Ungarn, Russland und Polen und halten sich bei Betriebsversammlungen zurück. Umso lauter gebärde sich dort eine kleine Minderheit, aus Abteilungs- und Schichtleitern sowie einigen wenigen Kolleg*innen, die diesen direkt unterstellt sind. "Diese Claqueure des Arbeitgebers agieren enorm aggressiv, brüllen herum, springen auf, lassen einen nicht ausreden und schüchtern so andere Kolleg*innen ein", berichtet der ver.di-Sekretär. Selbst ein sachlicher Vortrag über die Tarifrunde sei während der Betriebsversammlung nicht mehr möglich. Stattdessen könne der Betriebsleiter ausführlich und unwidersprochen seine gewerkschaftsfeindliche Position darlegen.

Prozesse

Parallel dazu häufen sich die Unterstellungen gegen die Betriebsräte. Der Vorsitzende des Gremiums etwa soll Kolleg*innen beleidigt und beschimpft haben, ebenso die Geschäftsführung und den Abteilungsleiter. Außerdem habe er angeblich versucht, einen Kandidaten für den Betriebsrat zu beeinflussen und soll ihm gedroht haben. Dazu gab es Anhörungen, bei denen aber nur Zeug*innen gehört wurden, die diese Vorwürfe stützten. Der folgenden Kündigung ihres Vorsitzenden stimmte der Betriebsrat nicht zu. Letztlich landete der Fall vor dem Arbeitsgericht, das am 20. Dezember 2023 nach Anhörung vieler Zeug*innen das Kündigungsbegehren des Arbeitgebers in allen Punkten ablehnte. Doch Lidl geht in die nächste Instanz vor dem Landesarbeitsgericht.

„Von Anfang an stellte der neue Chef klar, dass kritische Nachfragen zum Umzug weder vom Betriebsrat noch von der Gewerkschaft erwünscht sind.“

Dem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden wurde ebenfalls versucht zu kündigen. Der Vorwurf: "Üble Nachrede eines Kollegen." Das Verfahren wurde inzwischen seitens des Arbeitgebers seit über einem Jahr ruhend gestellt. Doch damit nicht genug: Zwischenzeitlich wurde dem stellvertretenden Vorsitzenden "sexuelle Belästigung einer Mitarbeiterin" angedichtet. Bei der folgenden Anhörung dazu ging es plötzlich "nur noch" um eine "tätliche Beleidigung". Der beschuldigte Betriebsrat bezog über seinen Anwalt dazu Stellung, woraufhin überhaupt keine Reaktion mehr von Seiten des Arbeitgebers folgte.

"Das Schlimme ist aber, dass bei solchen aus der Luft gegriffenen Vorwürfen immer etwas hängen bleibt", meint Azad Tarhan. Da der Betriebsleiter die unberechtigte Beschuldigung nicht offiziell zurücknahm, fehlt dem Betriebsratsvize eine echte Wiedergutmachung. Stattdessen soll er jetzt nach zwanzig Jahren im Lidl-Lager Herne nicht mehr wie bisher arbeiten. Seine administrativen Tätigkeiten wurden ihm entzogen. Stattdessen soll er nur noch körperliche Arbeit verrichten.

Ein weiteres Betriebsratsmitglied soll nach der Rückkehr aus der Elternzeit innerhalb des Unternehmens versetzt werden, wogegen es sich vor dem Arbeitsgericht wehrt. Dort wird im April zudem über den Ausschluss des Vorsitzenden und seines Stellvertreters aus dem Gremium entschieden. Eingeleitet wurde dieser drastische Eingriff von einem Vorgesetzten.

"Die Lage ist innerbetrieblich kaum noch aufzulösen", sagt der ver.di-Sekretär. Deshalb haben er und der Betriebsrat sich Mitte Februar mit Mitgliedern aus dem Herner Stadtrat sowie einem Vertreter des Integrationsrates getroffen, um die Situation im Lidl-Lager zu schildern. "Alle waren sehr interessiert am Thema." Eventuell gibt es bald eine Veranstaltung zur Bedeutung von Betriebsräten.

Petition

Azad Tarhan hat auf Campact eine Petition gestartet mit dem Titel: "Stoppt Union-Busting im Lidl Lager Herne – Kündigungen und Klagen gegen Betriebsräte zurücknehmen!" Die Unterzeichner*innen fordern die sofortige Rücknahme aller Kündigungen und Klagen gegen Betriebsratsmitglieder, ein Beenden des Union-Busting und gewerkschaftsfeindlicher Propaganda sowie das Verteidigen der Rechte der Arbeitnehmer*innen:

https://weact.campact.de/petitions/stoppt-union-busting-im-lidl-lager-herne-kundigungen-und-klagen-gegen-betriebsrate-zurucknehmen