Die Zeitschrift "Arbeitsrecht im Betrieb" ehrte im Oktober in Bonn Betriebsräte, die sich hartnäckig und ideenreich für die Interessen ihrer Belegschaften eingesetzt haben

Die Ausgezeichneten bei der Preisverleihung. In der Mitte Adrijana Soldo und Marion Tesche

Von Silke Leuckfeld

Ein bisschen erinnert die Geschichte an ein Hollywood-Drehbuch: Sie erzählt von Frauen, die ihren Arbeitsplatz verlieren sollen, die kämpfen und die große Drogeriemarktkette Schlecker schließlich in die Knie zwingen. Im Frühjahr 2009 erfuhr Marion Tesche, Betriebsratsvorsitzende bei Schlecker in der Region Mayen-Remagen, dass ihr Arbeitgeber in Remagen einen neuen, großen Markt eröffnen wollte. Sie freute sich; so würden ihre Kolleginnen bald bessere Arbeitsbedingungen bekommen. Zwei Filialen gab es bereits in der Stadt. Schlecker hatte aber nicht vor, die Frauen in dem neuen Geschäft arbeiten zu lassen. Stattdessen sollten Leiharbeitnehmerinnen der Firma Meniar dort beschäftigt werden, die nicht wie die Schlecker-Angestellten nach Tarif bezahlt werden. Den Frauen in den alten Läden wurde gekündigt. Für rund 50 Prozent weniger Gehalt hätten sie bei Meniar anfangen können.

Gemeinsam mit Marion Tesche und der zuständigen ver.di-Sekretärin Maria Rinke organisierten die Beschäftigten den Protest. Sie malten Plakate, sprachen die örtlichen Politiker und Kirchenvertreter an, informierten die Presse und riefen die Postkartenaktion "Rote Karte für Schlecker" ins Leben. Die Karten, auf denen gefordert wurde, die Frauen in die neuen XL-Märkte zu übernehmen, dort nach Tarif zu zahlen und Betriebsräte zuzulassen, wurden an Schlecker geschickt. Auch Prominente wie Alice Schwarzer und Günter Wallraff solidarisierten sich mit den Beschäftigten. "Im vergangenen Jahr fiel der Internationale Frauentag auf einen Sonntag. Am Vortag hatten wir zu einer Betriebsversammlung eingeladen, die sehr gut besucht war", berichtet Marion Tesche. Anschließend zogen die Frauen mit ihren Plakaten und Postkarten in die Remagener Innenstadt. "Wir haben von den Remagenern sehr viel Solidarität erfahren", sagt Marion Tesche. Wenige Tage nach der Protestaktion nahm Schlecker die Kündigungen zurück.

Der Preis in Gold

Die Arbeit der Schlecker-Betriebsräte in Mayen-Remagen und Fürth-Herzogenaurach wurde am 20. Oktober in Bonn mit dem Deutschen Betriebsräte-Preis in Gold ausgezeichnet. Dina Bösch, Mitglied des ver.di-Bundesvorstands, sagte in ihrer Laudatio bei der Preisverleihung: "In beispielhafter Weise ist es hier gelungen, betriebliche Konflikte nach außen zu bringen und so zu thematisieren, dass ein ungeahntes Maß an Unterstützung lokal und auf Bundesebene erreicht wurde." Tarifverträge durchzusetzen, das Leiharbeitsmodell zu stoppen und den Missbrauch der Leiharbeit öffentlich zu diskutieren, das alles wäre ohne die Beschäftigten und ihre Betriebsräte nicht möglich gewesen.

Denn die Kündigungen in Remagen waren erst der Anfang der Geschichte: Schlecker wollte in ganz Deutschland große XL-Drogeriemärkte eröffnen und das Stammpersonal durch die Leiharbeitnehmerinnen der Firma Meniar ersetzen. Bundesweit griff die Presse das Thema auf, an vielen Orten übernahmen die Betriebsräte und ver.di gemeinsam mit den Betroffenen die Rote-Karten-Aktion und organisierten Proteste. "Wir haben an alle örtlichen Politiker und sozialen Verbände geschrieben und um Unterstützung gebeten", sagt Adrijana Soldo, Schlecker-Betriebsrätin in Fürth-Herzogenaurach. "Der öffentliche Druck war so stark, dass Schlecker sein Vorhaben Mitte Januar zurücknehmen musste." Auch Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wollte den Missbrauch der Leiharbeit bei Schlecker überprüfen. Schließlich kündigte der Drogerieriese an, bundesweit die Verträge mit Meniar nicht zu verlängern. Am 1. Juni einigten sich auch ver.di und Schlecker auf Tarifverträge zur Beschäftigungssicherung, zur Tarifbindung von Schlecker XL und auf einen Tarifsozialplan.

Für Marion Tesche, die in der ver.di-Verhandlungskommission saß, ein großer Sieg. Die vier Frauen, denen als erste in Remagen gekündigt wurde, arbeiten heute noch bei Schlecker, aber nicht in einem XL-Markt. "Es ist noch strittig, ob wir als Betriebsrat auch für die XL-Märkte zuständig sind. Sie wollten aber weiterhin in unserem Bereich arbeiten und sind deshalb nicht in einen XL-Markt gegangen", erklärt Marion Tesche.

Maßgeschneiderte Kompetenz

Den Sonderpreis "Qualifizierung" erhielt in diesem Jahr der 21-köpfige Betriebsrat der Stadtwerke Hannover AG. "Wir hatten festgestellt, dass die Arbeitsteilung im Gremium nicht optimal war und wir die Ausschüsse entsprechend der Kompetenz der Mitglieder besetzen müssen", sagt Maike Stecher vom Betriebsrat.

Noch in der vorigen Amtszeit hatte der Betriebsrat beschlossen, in Workshops Soll- und Ist-Profile über die besonderen Stärken der Gremienmitglieder zu entwickeln, damit sie besser in die Arbeit eingebunden werden können.

Die Position als Mitglied eines Betriebsrates ist ein Wahlamt, eine klassische Stellenbeschreibung gibt es dafür nicht. In den einzelnen Ausschüssen wie Wirtschafts- oder Arbeitssicherheitsausschuss oder zum Gesundheitsschutz wird Fachwissen benötigt, um effektiv arbeiten zu können. Welcher Betriebsrat über welche Vorkenntnisse verfügt, war meist nicht bekannt. Vor dem Projekt hat jedes Betriebsratsmitglied Fortbildungen selbst ausgesucht. Nachdem die Profile erstellt sind, werden die Gremienmitglieder sich künftig passend zu ihren Aufgaben weiterbilden, die nun klar verteilt werden. "Die Vorarbeiten haben wir abgeschlossen, mit dem neu gewählten Betriebsrat werden wir das jetzt umsetzen", kündigt Daniel Kaufeld, Mitglied des Betriebsrat, an.

Trendwende erreicht

"Als bei uns im vergangenen Jahr die Computersoftware SAP eingeführt werden sollte, war uns klar, dass dies für die Kolleginnen und Kollegen sehr viel Arbeit und Überstunden bedeuten würde", sagt Maren Bullermann, Betriebsratsvorsitzende bei der Wohnungsbaugesellschaft Gewoba in Bremen. Der Arbeitgeber übte zunehmend stärkeren Druck auf die Beschäftigten aus, die immer mehr leisten sollten. "Wir haben den Kampf gegen die Überlastung zum Schwerpunktthema des Betriebsrats erklärt", berichtet Maren Bullermann. Der Betriebsrat informierte die Belegschaft und machte das Problem auch in seinen 14-tägig erscheinenden Betriebsratsinformationen zum Thema. "Wir haben uns dann regelmäßig die Übersicht über die Überstunden geben lassen und die veröffentlicht", sagt die Vorsitzende. Der Betriebsrat drängte darauf, dass Gesetze wie das Arbeitszeitgesetz, aber auch der Tarifvertrag eingehalten werden. Schließlich konnte eine Betriebsvereinbarung erreicht werden. Die Beschäftigten entscheiden danach selbst, ob sie Überstunden in der nächsten Zeit abfeiern, sie sich mit einem Zuschlag von 30 Prozent statt der im Tarif vorgesehenen 25 Prozent auszahlen lassen oder ob sie dem neuen Lebensarbeitskonto gutgeschrieben werden. Das Konto ermöglicht nicht nur einen früheren Start in die Rente, sondern ist vor allem für Zeiten für die Familie gedacht, wenn jemand zum Beispiel einen Angehörigen pflegen muss.

Für diesen Erfolg wurde der Betriebsrat mit dem Sonderpreis "Gute Arbeit" ausgezeichnet. Für die Arbeitnehmervertreter/innen war besonders wichtig, dass der Arbeitgeber die Präambel der Betriebsvereinbarung unterschrieben hat. Darin steht, dass sich Überstunden gesundheitlich auf die Beschäftigten auswirken können. Und dass sie künftig vermieden werden.

Jetzt für 2011 bewerben!

In diesem Jahr zeichnete die Fachzeitschrift Arbeitsrecht im Betrieb schon zum zweiten Mal aktive Betriebsräte aus.

Auch im kommenden Jahr wird wieder der Deutscher Betriebsräte-Preis verliehen. Die Bewerbungsfrist dafür läuft bis zum 30. April 2011.

Dokumentation der bisherigen Preisträger und alle Details zur Ausschreibung: www.deutscherbetriebsraete-preis.de