Der 20. Oktober 2010 wird in die britische Geschichte eingehen. An diesem Tag verkündete der konservative Finanzminister George Osborne die Abschaffung des britischen Sozialstaates. Von den Mitgliedern der Regierung, die meisten von ihnen sind Millionäre, wurde das mit freudigem Lachen und begeistertem Applaus quittiert. Für Beschäftigte im öffentlichen Dienst, Sozialhilfeempfänger, Schüler, Studierende, Auszubildende und Erwerbslose, die überwiegende Mehrheit der britischen Bevölkerung also, bedeutet das verkündete Sparpaket eine Katastrophe.

Fünf schlimme Jahre

Insgesamt wird das auf fünf Jahre bis 2015 angelegte Sparpaket mindestens eine Million Arbeitsplätze kosten. 500000 werden allein in den Kommunen wegfallen. Das hatte sich schon in den letzten Wochen angekündigt: In Birmingham wurden 26000 kommunale Angestellte gekündigt und gezwungen, sich wieder auf ihren Job zu bewerben. So sollen Stellenabbau und Lohnkürzungen durchgesetzt werden.

Und Birmingham wird kein Einzelfall bleiben. Auch bei staatlichen Behörden fällt die Axt. Einer von sechs dort Beschäftigten wird seine Arbeit verlieren. Teilweise werden ganze Arbeitsbereiche geschlossen. Das betrifft vor allem die durch die De-Industrialisierung betroffenen Orte, in denen es bereits heute nur wenige große Arbeitgeber gibt. Ein Beispiel ist Newport in Wales. Dort soll das Pass-Büro geschlossen werden, eines von insgesamt sieben solcher für die Herstellung von Ausweisen zuständigen Büros. 300 Stellen werden dadurch verschwinden. Dagegen gab es eine Demonstration, an der sich mehr als 1000 Menschen beteiligt haben.

Auch vor dem Gesundheitswesen macht die Regierung nicht halt. Dabei scheint der Gesundheitsbereich auf den ersten Blick relativ gut wegzukommen. Während bis 2015 beim sozialen Wohnungsbau 51 Prozent des Budgets eingespart werden soll, erhält das Gesundheitssystem sogar eine kleine Erhöhung von 1,3 Prozent seines Budgets. In Wirklichkeit ist auch das eine Kürzung, denn eine so minimale Erhöhung wird über den Zeitraum von fünf Jahren von der Inflation aufgefressen.

Hinzu kommt, dass das Gesundheitssystem privatisiert werden soll. Dazu liegt ein "White Paper" der Regierung vor. Danach soll das Gesundheitssystem in Einzelteile zerschlagen werden, die Brocken will man dann an private, multinationale Gesundheitskonzerne verkaufen. Sollte dieser Plan Realität werden, hätte Großbritannien kein aus Steuergeldern finanziertes, bei Inanspruchnahme kostenloses Gesundheitssystem mehr.

Es trifft die Ärmsten

Weitere Eckpunkte des Sparpakets sind Kürzungen von Sozialhilfe, die Streichung des Kindergeldes bei einem Familieneinkommen von über 48000 Pfund (rund 55700 Euro) im Jahr und die schrittweise Erhöhung des Rentenalters auf 66 Jahre bis 2020. Insgesamt werden im Sozialbereich sieben Milliarden Pfund eingespart, und das trifft vor allem die ärmsten Bevölkerungsschichten. Schrittweise sollen bis 2015 ganze 81 Milliarden Pfund eingespart werden. Und es kommen noch mehr Belastungen auf die Menschen zu. So sind Studiengebühren von bis zu 12000 Pfund (13900 Euro) pro Jahr im Gespräch. Trotzdem werden Mittel für Universitäten eingefroren, was dazu führen wird, dass einige Unis geschlossen werden müssen. Zwar herrschen noch lange keine französischen Verhältnisse, dennoch kam es bereits zu Protesten mit hunderten und tausenden Beteiligten in fast jeder größeren Stadt Großbritanniens. Die bislang größte Demonstration fand in Edinburgh statt; 20000 Menschen haben sich daran beteiligt.

Die Proteste werden sich ausweiten. Vielerorts bilden sich lokale Bündnisse gegen die Kürzungen. Die Gewerkschaften zeigen sich derweil uneins über das weitere Vorgehen. Die Führung des britischen Gewerkschaftsbundes TUC will bislang erst für den 26. März 2011 eine Demonstration gegen das Sparpaket organisieren.

Das ist der Gewerkschaft für Staatsangestellte PCS, der Feuerwehrgewerkschaft FBU, der Journalistengewerkschaft NUJ und der Transportarbeitergewerkschaft RMT zu wenig. Sie forderten auf einer Demonstration am 20. Oktober in London zu koordinierten Streiks aller Gewerkschaften auf - unterstützt von Massendemonstrationen. Man müsse nur nach Frankreich schauen, um zu sehen, welche Kampfmaßnahmen in Großbritannien notwendig seien, sagte Mark Servotka, Generalsekretär der PCS. Christian Bunke