Ausgabe 12/2010
Es werde Licht
Müllwerker, Briefzustellerinnen, Busfahrerinnen und viele andere gehören zur ver.di-Personengruppe Arbeiter/innen – egal, aus welcher Branche sie kommen. Von Themen wie dem gesetzlichen Mindestlohn sind sie besonders betroffen
Monteur Béla Marosi sorgt für Licht in Dresden
Von Claudia von Zglinicki
Als Béla Marosi zum Mikrophon geht, weiß er, dass die Redezeit knapp ist. Das geht ihm immer so; er hat einfach eine Menge zu sagen, in aller Bescheidenheit. Deshalb fasst er viel in knappen Sätzen zusammen; wer nicht genau zuhört, verpasst was. Die Frauen und Männer, die Ende November bei der Landesarbeiterkonferenz in Leipzig vor ihm sitzen, wissen das. Sein Thema: Was haben sie in den letzten vier Jahren gemacht, die aktiven Arbeiter/innen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen?
Natürlich war Tarifpolitik ein Schwerpunkt. "Wir haben die Arbeiter deshalb auch in der Bundestarifkommission für den öffentlichen Dienst etabliert", sagt der Dresdner Personalrat Marosi. "Es ist wichtig, dort arbeiterspezifische Schwerpunkte zu setzen. Stichwort Erschwerniszulage - die besonderen Härten in unseren Jobs müssen honoriert werden; im öffentlichen Dienst müssen die Zulagen in die Berufsbeschreibungen einfließen und richtig dazugehören."
Über die Landesgrenzen
Beruflich sorgt der 53-jährige Béla Marosi für Romantik im barocken Dresden: Der ausgebildete Betriebsschlosser betreut und wartet seit 38 Jahren die Gaslampen bei der Landeshauptstadt, 1400 sind es zurzeit.
Gewerkschaftlich aktiv war Marosi schon in der Lehrzeit: "Als wir die Lärmzulage in der Ausbildung nicht mehr bekommen haben, sind wir in dreckigen Arbeitsklamotten zum BGLer gezogen, wie der Gewerkschaftsmann im Betrieb zu DDR-Zeiten hieß, und haben uns auf sein rotes Sofa gepflanzt. Bis er gesagt hat: Los, holt euch den Zuschlag! Später war ich selbst Vertrauensmann, habe die acht Ferienplätze pro Jahr vergeben und mich wieder um Erschwerniszuschläge gekümmert. Gewerkschaft zieht sich wie ein roter Faden durch bei mir."
Seit acht Jahren sind die grenzüberschreitenden Kontakte der Arbeiter/innen bei ver.di Marosis Lieblingsthema: aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu Gewerkschaftern in Polen und Tschechien, neuerdings in die Slowakei und Österreich, aber auch zur CGT in Frankreich und nach Spanien. Schon vor Jahren waren die Aktiven aus der Grenzregion bei den Kollegen im tschechischen Most, gleich nach der großen Flutkatastrophe, und sie haben nicht nur geredet, sondern auch einen Scheck für die vom Wasser beschädigte Gedenkstätte Theresienstadt überreicht. Die Kontakte blieben bestehen. Auf der Konferenz erinnert Marosi an das letzte Treffen, im vergangenen Herbst in Görlitz. Historische Jubiläen wurden diskutiert: 30 Jahre Solidarnosc und 40 Jahre Warschauer Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen. "Aber wir haben auch von unseren Erfahrungen mit der Privatisierung kommunaler Betriebe erzählt und die Kollegen aufgefordert, politischen Druck zu machen, um ähnliches zu verhindern."
Béla Marosi erwähnt in seinem Rückblick auch das nagelneue sächsische Personalvertretungsgesetz: "Es ist wieder schlechter geworden. Manches, was vorher mitbestimmungspflichtig war, braucht jetzt bloß noch unsere Mitwirkung." Aber damit wird niemand hier eingeschüchtert, dafür ist zu viel Selbstbewusstsein im Raum. "Wir Arbeiter sind es doch, die am Ende auf der Straße die Forderungen von ver.di durchsetzen", sagt Béla Marosi. Natürlich gemeinsam mit anderen. Aber ja, der ehrenamtliche ver.di-Mann aus dem Bundes- und Landesarbeiterausschuss weiß, was er an seinen Kolleginnen und Kollegen hat. Mit Vergnügen spricht er deshalb vom Besuch des Landesarbeiterausschusses an der Physikalisch-Astronomischen Fakultät der Uni Jena: "Da haben Arbeiter mit der Professorin über Beschleuniger diskutiert, und ich habe daneben gestanden und nur gedacht: Mein lieber Mann, das sind Arbeiter!"
Wenn vom "Sparen" die Luft brennt
Ute Sohr nickt ihm zu. Die zierliche 47-Jährige vertritt die Arbeiter/innen im Personalrat der Stadt Chemnitz und ist Vorsitzende des Bezirksarbeiterausschusses. Sie arbeitet in der Küche einer Kita der Stadtverwaltung und ist stolz darauf, dass bei ihnen alles, jede Zwiebel und jede Kartoffel, selbst geschnitzelt und gekocht, nichts von einem Großunternehmen fertig geliefert wird. Die Kinder lieben das - und auch viele Eltern legen großen Wert darauf. "Ungerecht ist für mich, dass gerade die Arbeiterbereiche in Kommunen - und nicht nur dort - immer häufiger ausgegliedert werden", sagt Ute Sohr. Darum hat sie sich im Arbeiterausschuss engagiert. "Bei uns brennt die Luft: Das Grünflächenamt will Leute ausgliedern, den Küchen droht das gleiche Los, den Hausmeistern in Schulen, Kitas und Turnhallen auch. Wir haben die Stadträte aufgefordert, die Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung noch einmal zu überdenken." Und nun habe die Stadt immerhin schon erklärt, es solle keine Kündigungen im Zusammenhang mit den Privatisierungen geben - und ein Rückkehrrecht für die Kolleginnen und Kollegen.
Ute Sohr kocht für einen Kindergarten in Chemnitz
1996 hatte die Stadtverwaltung Chemnitz Ute Sohr gekündigt. Doch das hat sie nicht hingenommen. Mit Unterstützung der Gewerkschaft hat sie die Klage gegen die Stadt gewonnen und ihre Stelle in der Küche behalten. "Und so soll es bleiben", sagt sie.
Mit ihrer Erfahrung käme Ute Sohr nie auf die Idee, Arbeiterausschüsse abzuschaffen. "Ist doch abwegig. Wir haben eigene Themen wie die Erschwerniszulagen. Und noch etwas: Die Chefs gehen mit uns anders um; wir sind eben Arbeiterinnen und Arbeiter, unterste Gehaltsgruppen. Wir werden oft unterschätzt, dabei sind gerade wir sehr flexibel. Wir müssen uns selbst an Auseinandersetzungen beteiligen, dabei sein."
So sieht das auch Monika David, die in einem Alten- und Pflegeheim des DRK im ver.di-Bezirk Hannover/Leine-Weser arbeitet, übrigens auch in der Küche. Die 57-Jährige ist wie Ute Sohr Vorsitzende eines Bezirksarbeiterausschusses und will, dass der erhalten bleibt, "solange es einerseits Niedriglohngruppen gibt und andererseits Arbeiter kommen, die bei ver.di sind und mit uns gemeinsam was tun wollen. Doch bei uns tauchen nicht nur neue Leute mit Interesse an ehrenamtlicher Arbeit auf, es wurde auch der Antrag gestellt, den Bezirksarbeiterausschuss abzuschaffen. Aber ich denke, das ist noch nicht entschieden. Wir planen für das nächste Jahr - zum Beispiel wollen wir im Juni eine Aktion mit ver.di und anderen Partnern gegen prekäre Beschäftigung veranstalten."
Wie es weitergeht
Ab Mai 2011 gilt auch für die neuen EU-Mitgliedsstaaten die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Im Herbst wollen die Arbei-ter/innen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen dann analysieren, was sich dadurch verändert haben wird. Saisonarbeit wird zunehmen, fürchten sie. Béla Marosi erinnert daran, dass "wir uns schon 2009 in Chemnitz, als es um fünf Jahre EU-Osterweiterung ging, mit den Kollegen aus Usti nad Labem in Tschechien in die Hand versprochen haben, dass soziale Gerechtigkeit nicht den Regeln des Profits geopfert wird. Wir bleiben dran - auch beim Thema Gute Arbeit, bei der Rente mit 67 und dem gesetzlichen Mindestlohn. Bürgerarbeit wird ein Schwerpunkt; in Dresden will der Bürgermeister schon 800 Leute dafür einsetzen, für ganze 900 Euro im Monat." Da müssen die Arbeiter/innen was tun. Sie sind viele. Und sie wissen, was sie wollen.
Arbeiter in ver.di
Nach der Aufhebung der Begriffe Arbeiter und Angestellte in den Tarifverträgen im öffentlichen Dienst und bei der gesetzlichen Rentenversicherung meinen manche Aktive bei ver.di, man brauche die Arbeiterausschüsse und die ganze Personengruppe eigentlich nicht mehr. Aber wir haben schon im Jahr 2005 vom Gewerkschaftsrat den Auftrag bekommen, ein Konzept zur Weiterentwicklung der Arbeiterausschüsse zu entwickeln. Diese Weiterentwicklung - und nicht die Abschaffung - hat der Gewerkschaftsrat dann 2006 mit nur einer Gegenstimme beschlossen.
In der Bundesrepublik stecken heute 14 Millionen Menschen in prekären Lebens-und Arbeitsverhältnissen. Drei Viertel der zurzeit in der Bundesrepublik in Armut lebenden Menschen sind Arbeiter/innen und Facharbeiter/innen. Ein Drittel der ver.di-Mitglieder sind Arbeiter/innen. Sie haben, wie der Bundesarbeiterausschuss feststellt, nicht nur die höchste Bindung zu unserer Gewerkschaft, sondern nach wie vor ihre spezifischen Interessen. Deshalb ist es erforderlich, auf allen Ebenen fachbereichsübergreifende Strukturen für Arbeiter in ver.di zu erhalten und auszubauen.
Rainer Nehring, ver.di-Bundesarbeitersekretär