Ausgabe 12/2010
Rohe Bürgerlichkeit
Heike Langenberg ist Redakteurin der ver.di PUBLIK
Die Folgen der Finanzkrise machen weiter Angst. Angst, die auch in höheren Einkommensgruppen immer deutlicher spürbar wird. Abwertende, menschenfeindliche Einstellungen gegenüber den Schwachen in der Gesellschaft nehmen besonders in dieser Schicht zu, hat eine Studie der Universität Bielefeld ergeben. Dort beobachtet der Pädagoge Wilhelm Heitmeyer seit zehn Jahren, wie sich die Verbreitung von Vorurteilen in Deutschland entwickelt. Obwohl hier seit Jahren munter von unten nach oben verteilt wird, offenbart die Oberschicht Angst um ihre Pfründe. Durch die Finanzkrise hat sich der Eindruck der persönlichen Bedrohung noch verstärkt, trotz eines Nettoeinkommens von mehr als 2500 Euro im Monat.
Solidarität mit Langzeitarbeitslosen? Wird zur Fehlanzeige in der Oberschicht, hier soll Leistung zählen. Sie beruft sich verstärkt auf ihre Vorrechte, wertet vermeintlich schwache Gruppen ab. Stattdessen sollen der eigene Besitzstand gewahrt, Privilegien gesichert werden, und zwar auf Kosten derer, die auch bislang nicht viel hatten. Dabei wird die Oberschicht immer rabiater, um ihre eigenen Ziele durchzusetzen. "Zivilisierte, tolerante, differenzierte Einstellungen in höheren Einkommensgruppen scheinen sich in unzivilisierte, intolerante - verrohte - Einstellungen zu wandeln" ist ein Fazit der Studie.
Innergesellschaftliche Feindbilder gewinnen an Bedeutung. Wer ist volkswirtschaftlich nutzlos? Arbeitlose. Nicht nur der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle lässt mit seinen Thesen zur spätrömischen Dekadenz in der sozialen Hängematte grüßen. Aber auch die Abwertung von Fremden zeigt sich in der Umfrage durch eine zunehmende Islamfeindlichkeit in der Oberschicht, und das nicht nur im politisch rechten Spektrum, sondern auch in der Mitte und links. Die Zustimmung zu rechtspopulistischen Thesen wächst in allen Schichten der Gesellschaft, das Vertrauen in die Demokratie nimmt ab.
Und die Politik? Dient sich weiter den Lobbyisten und den Wohlhabenden an. Und fördert so die weitere Spaltung der Gesellschaft.