Dierk Hirschel ist ver.di-Wirtschaftsexperte

Die Finanzkrise verwüstet das Euroland. Erst brannte die Akropolis, dann wurde dem keltischen Tiger das Fell über die Ohren gezogen. In Lissabon, Madrid und Rom liegen die Nerven blank.

Der Einsturz der Glaspaläste hat das irische Wirtschaftswunder beendet. Die keltischen Banker, Immobilienmakler und Baulöwen lebten jahrelang über ihre Verhältnisse. Seit Mitte der 90er Jahre verdreifachten sich die Häuserpreise. Die Banken verfünffachten ihre Kreditvergabe. Der Kapitalmarkt blähte sich auf 1400 Prozent der irischen Wirtschaftsleistung auf. In der grünen Steuer- und Regulierungsoase entstand ein globales Casino.

Nachdem die Blase platzte, sozialisierte die konservativ-grüne Regierung die Verluste. Dublin organisierte die umfangreichste Bankenrettung Europas. Der irische Staat garantierte Einlagen, setzte Eigen- kapitalspritzen und baute die größte öffentliche Giftmülldeponie (Bad Bank). Der Rettungsschirm war dreimal so groß wie das keltische Sozialprodukt. So wurden aus privaten im Handumdrehen öffentliche Schulden. Die öffentliche Schuldenquote - Anteil der Schulden am Sozialprodukt - kletterte um das Dreifache auf über 80 Prozent.

Die Zeche der Bankenrettung bezahlen Beschäftigte, Arbeitslose und Rentner. Die irische Regierung hat bereits fünf Sparpakete geschnürt. Öffentliche Stellen werden abgebaut, bei der Kindererziehung und den Gesundheitsausgaben wird gekürzt, der Mindestlohn gesenkt und die Mehrwertsteuer erhöht. Diese so genannte Sparpolitik ist Gift für die Wirtschaft. Seit drei Jahren sinkt das Wachstum, Arbeitslosigkeit und Schulden steigen.

Diese wirtschaftspolitische Geisterfahrt trieb die Insel fast in die Pleite. Dieselben Investmentbanker, Fondsmanager und Analysten, die noch kürzlich die irische Sparpolitik lobten, senkten nun den Daumen. Die Zinsen kletterten über neun Prozent. Die maroden Banken konnten nur mit Notkrediten der Europäischen Zentralbank überleben. Ein Kollaps irischer Banken hätte das europäische Bankensystem kräftig durchgeschüttelt. Dublin schuldet ausländischen Banken rund 550 Milliarden Euro. Deutsche Bank, Commerzbank & Co stehen mit 104 Milliarden Euro im Feuer. Nächstes Jahr müssen die EU-Staaten mindestens 800 Milliarden Euro refinanzieren. Bis dahin muss wieder Ruhe herrschen.

Kein Wunder also, dass Merkel, Sarkozy und Währungshüter Trichet den Iren das 85 Milliarden Euro schwere Rettungspaket geradezu aufdrängten. Es geht um viel. Die Zukunft der gemeinsamen Währung steht auf dem Spiel. Wenn ein Mitgliedsstaat Pleite geht, wird sehr schnell auch den anderen Schuldenstaaten der Geldhahn abgedreht. Dann ist der Euro Geschichte. Die jüngsten Hilfen für Griechenland und Irland kaufen aber nur Zeit. Die wirklichen Ursachen der Krise des Eurolandes werden nicht angegangen.

Die Staatsfinanzen hängen weiter am Tropf der Kapitalmärkte. Deswegen werben die Staatenlenker verzweifelt um das Vertrauen der Märkte. Ein Stück aus dem Tollhaus. Mit Steuergeld gerettete Banken und Versicherungen bestimmen den Preis, zu dem sich Staaten frisches Kapital leihen können. Rating-Agenturen, die vor der Krise für Schrottpapiere Bestnoten vergaben, urteilen heute über die Kreditwürdigkeit Madrids, Dublins oder Athens. Finanzinvestoren, die noch kürzlich Spareinlagen in den Geisterstädten der Costa del Sol versenkten, sollen jetzt die europäischen Kassenwarte disziplinieren. Die Politik befindet sich noch immer in Geiselhaft der Finanzmärkte. Soll die griechisch-irische Tragödie nicht schon bald in Lissabon und Madrid neu aufgeführt werden, dann muss die Staatsfinanzierung von den Kapitalmärkten entkoppelt werden. Wie in den USA, Großbritannien und Japan sollten sich die Euroländer zukünftig direkt über die Zentralbank finanzieren können. Dann würden sie zum EZB-Leitzins Staatsanleihen ausgeben, die von einer neu zu gründenden Bank für öffentliche Anleihen angekauft und bei der Zentralbank hinterlegt würden. Wenn die Spekulanten nicht mehr mit den öffentlichen Finanzen spielen können, macht es auch Sinn, über Umschuldung zu reden.

Damit aber nicht genug. Die Eurokrise hat auch realwirtschaftliche Wurzeln. Der Euroclub ist tief gespalten. In der Belle Etage wohnen hoch wettbewerbsfähige Deutsche, Holländer und Österreicher. Im Keller hausen Spanier, Griechen, Italiener und Portugiesen. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Euroländer driftet immer weiter auseinander. Die Starken exportieren Waren und Kapital, die Schwachen versinken im Schuldenmeer. Um aus den Schulden herauszuwachsen, braucht es in den Überschussländern - insbesondere in Deutschland - höhere Löhne und mehr öffentliche Investitionen. Gleichzeitig dürfen die Schuldnerländer nicht weiter ihren Gürtel enger schnallen. Ohne einen solchen politischen Kurswechsel ist das Euroland bald abgebrannt.

Mit Steuergeld gerettete Banken bestimmen den Preis, zu dem sich Staaten frisches Kapital leihen können