Das Amt und die Vergangenheit / Braune Diplomaten | Auch mehr als sechs Jahrzehnte nach Kriegsende kommen braune Flecken auf den vermeintlich weißen Westen höherer Beamter staatlicher Institutionen zum Vorschein. Historiker durchforsten Archive, sichten Akten und finden personelle Kontinuitäten aus der Nazi-Ära in die bundesdeutsche Nachkriegszeit auf hohen Posten. Ende Oktober 2010 hat eine Historikerkommission unter dem Titel Das Amt eine umfangreiche Untersuchung über die Vergangenheit des Auswärtigen Amtes (AA) veröffentlicht. Sie belegt die tiefe Verstrickung höherer Beamter in den Holocaust. Zahlreiche Dienststellen im In- und Ausland waren während des Dritten Reichs an den Deportationen der Juden in die Vernichtungslager beteiligt. Die Untersuchung verweist auf eine hohe personelle Verquickung zwischen Amt und SS, auf regen Informationsaustausch mit Gestapodienststellen und Überwachung der aus Deutschland Geflohenen. Mit zahlreichen Beispielen belegen die Autoren, wie die Täter sich gegenseitig von Schuld weißgewaschen haben, teils sich gar als "Nazi-Gegner" etikettiert haben. Viele sind in der Adenauer-Ära an wichtige Schaltstellen des AA zurückgekehrt. Und wer tatsächlich Widerstand geleistet und mit den Alliierten paktiert hatte, bekam im bundesdeutschen Auswärtigen Amt Anfeindungen zu spüren. Die Historiker und ihr Team zeichnen ein sehr differenziertes Bild mit biografischen Kontinuitäten und Brüchen. Verdienstvoll ist die Aufbereitung dieser komplexen Materie für ein breites Publikum, was unter Historikern auch für Widerspruch gesorgt hat. Nicht alles ist neu. Der Historiker Sebastian Weitkamp hat zuvor am Beispiel der hochrangigen Beamten Horst Wagner und Eberhard von Thadden unter dem Titel Braune Diplomaten die aktive Rolle des AA an den Nazi-Verbrechen sehr präzise aufbereitet und veröffentlicht.

Derzeit untersuchen Historiker auch die fatalen Verstrickungen des Reichsfinanzministeriums während der Nazizeit. Zu den Schwerpunkten zählen neben der Steuer- und Schuldenpolitik auch die fiskalische Judenverfolgung, die Ausplünderung der Deportierten und die Beutepolitik in den eroberten Ländern. Bislang gibt es mehrere regionale Studien über die Mitwirkung der Finanzverwaltung an der Ausplünderung der Juden in Deutschland. Mit der Nazi-Vergangenheit von Mitarbeitern der ersten Generation im Bundesnachrichtendienst sowie beim Bundesamt für Verfassungsschutz werden sich in naher Zukunft Historikerkommissionen befassen. Gunter Lange

Eckart Conze u. a.: Das Amt und die Vergangenheit, Blessing Verlag, München, 880 S., 34,95 €, ISBN 978-3896674302 Sebastian Weitkamp: Braune Diplomaten, J.H.W. Dietz Verlag, Bonn, 491 S., 48 €, ISBN 978-3801241780