MARIA KNIESBURGES ist Chefredakteurin der ver.di PUBLIK

Wie lange wurde da geredet und gerechnet und wieder gerechnet und wieder geredet - und jetzt klappt es immer noch nicht. Grad so, als hätten sie es drauf angelegt. Das von der Bundesarbeitsministerin seit Monaten vollmundig gepriesene sogenannte Bildungspaket für Kinder aus armen Familien kommt nicht an. Weil viele gar nicht wissen, dass sie es überhaupt beantragen können, und wieder andere nicht wissen, wo und wie sie es denn beantragen müssen. Die einen im Jobcenter, die anderen bei der Wohngeldstelle und wieder anderen wird geraten, sich einfach im Rathaus oder auf dem Bürgeramt durchzufragen. Dabei sollte doch alles so einfach sein: Jedes anspruchsberechtigte Kind bekommt eine handliche Chipkarte, so hatte es Ursula von der Leyen angekündigt, und los geht`s mit der gesellschaftlichen und kulturellen Teilhabe des Kindes! Jeden Monat zehn Euro, was kann da geturnt, gesungen und musiziert werden! Leider hatten die Ministerin und ihr Stab übersehen, dass es für eine Chipkarte auch eines Lesegeräts bedarf - und ein solches steht bekanntermaßen nicht in jedem zweiten Sportverein herum.

Aber es ist ja nicht nur dieses neuerliche Ärgernis um das bislang fehlgelaufene Bildungspaket, es ist die gesamte Hartz-Gesetzgebung, die zornig macht. Weil sie das Land herunterzieht. Weil sie die Menschen entwürdigt. Weil sie unanständigen, ja sittenwidrigen Zuständen in der Arbeitswelt Tür und Tor geöffnet hat. Da ist der Facharbeiter, da ist die Angestellte, beide Ende 40, beide haben 25 oder 30 Jahre ohne Tadel gearbeitet und in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt. Sie werden arbeitslos, weil etwa der Betrieb pleite gegangen ist, beziehen noch zwölf Monate Arbeitslosengeld I - und landen dann direkt in Hartz IV. Womit sie sich zu jenen vielen Menschen im Land zählen dürfen, denen Politiker wie der ehemalige Spitzenkandidat der Berliner CDU, Frank Steffel, rundweg unterstellen, sie seien ausschließlich auf eines aus, nämlich aufs hemmungslose Rauchen und Saufen. Die Leistungen aus dem Bildungspaket würden nämlich nur deshalb so zögerlich nachgefragt, meint der Christdemokrat, weil es sie ja nicht als Bares gebe und sie sich folglich auch "nicht versaufen und verrauchen" ließen. Und Steffel ist nur einer von bedauerlich vielen Politikern in unserem Land, die flott mit einem markigen Spruch dabei sind, wenn es um pauschale Diffamierungen von Hartz-IV-Empfängern geht.

Umso mehr macht eine mögliche Perspektive Hartz IV auch denen Angst, die noch beschäftigt sind und eine Arbeit haben, deren Entlohnung tatsächlich zum Leben reicht. Hartz IV macht Angst, weil es längst schon vor allem für Reglementierung, Kontrolle und Zumutungen steht. Wer kennt sie nicht in seinem Bekanntenkreis, die entmutigenden Beispiele von Demütigung und Druck? Da ist der Facharbeiter, der unter Androhung von Leistungsentzug dazu angehalten wird, einer eintönigen Schraubearbeit für 1,50 Euro die Stunde nachzugehen. Da ist die Akademikerin, die gezwungen ist, sich unterbezahlt als Leiharbeiterin zu verkaufen. Und da ist sie dann ja mittlerweile unter Hunderttausenden. Denn auch das war eine Segnung der Hartz-Gesetze: Die Befreiung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes von vernunftgeleiteten Regelungen zur Leiharbeit. Mit den Hartz-Gesetzen der damaligen rot-grünen Bundesregierung wurde etwa das sogenannte Synchronisationsverbot aufgehoben, welches verhinderte, dass Leiharbeiter nur gezielt für die Dauer eines Auftrags eingestellt und dann wieder vor die Tür gesetzt werden. Ein Coup, mit dem Rot-Grün sozusagen dem modernen Tagelöhnertum zum Durchbruch verhalf. Mittlerweile jedenfalls sind es rund eine Million Menschen, die sich in Leih- arbeit verdingen. Nicht, weil sie das wollen, sondern weil sie müssen. Doch nicht nur diese "Reform" veränderte die Arbeitswelt gehörig. Ebenfalls im Zuge der Hartz-Gesetze öffnete Rot-Grün gewieften Arbeitgebern den Weg, die Arbeit von Stammbelegschaften dauerhaft auf schlechter bezahlte Leiharbeiter umzulagern. Einfach, indem die zeitliche Befristung von Leiharbeit aus dem Gesetz gestrichen wurde. Seither wird immer mehr wertvolle Arbeit zum Billiglohn verrichtet, erhalten immer mehr Menschen für gute Arbeit einen derart miesen Lohn, dass auch sie in Hartz IV landen - als sogenannte Aufstocker Hilfen nach Hartz IV beantragen müssen, weil der Lohn hinten und vorne nicht reicht. Und weil Hartz IV eben Hartz IV ist, wurde jetzt auch noch das sogenannte Schulbedarfspaket reformiert. Die 100 Euro in einem Schuljahr werden nun in zwei Raten ausgezahlt, 70 Euro zu Beginn und 30 Euro im zweiten Halbjahr. Sonst würde ja alles auf einmal versoffen.

Hartz IV hat die Arbeitswelt gehörig verändert