Schichtwechsel bei Dierichs in Kassel

Von Renate Bastian

HESSEN | "Das ist ein großartiger Erfolg für die Verteidigung der Tarifverträge in der Druckindustrie und in den Zeitungsverlagen", freut sich Manfred Moos, der hessische ver.di-Fachbereichsleiter. In einer Aktionswoche vom 7. bis 10. Juni haben sich rund 750 Beschäftigte aus 15 Druckereien und Zeitungsverlagen an Streiks und Aktionen beteiligt. Zusammen mit den Kolleg/innen aus dem Einzelhandel trafen sich 500 Streikende am 9. Juni vor dem Frankfurter Gewerkschaftshaus. Bundesweit nahmen 3500 an einer zentralen Kundgebung in Frankfurt teil. Eindeutige Schwerpunkte in Hessen sind Kassel und Mörfelden. Auf Facebook unter "Wir machen Druck" tauschen sich Beteiligte aus: "Tolle Aktion, ganz ohne Frage. Aber jetzt bloß nicht ... zurücklehnen und durchhängen." Diese Internetgruppe wurde eingerichtet von Torsten Fink, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender von Dierichs Zeitungsdruck in Kassel. Dort sind die rund 110 Beschäftigten seit Mitte Mai immer wieder dabei, wenn es gilt, in der diesjährigen Tarifrunde nicht nur für mehr Geld zu streiten, sondern auch um die Rahmenbedingungen wie Arbeitszeit und Zulagen. "Wenn es an die Zulagen geht, also Schichtzulagen und Antrittsgelder an Wochenenden zum Beispiel, tut das richtig weh. Das geht an die Substanz. Denn der nackte Stundenlohn ist so üppig nicht."

Demo in Frankfurt

Rund um die Uhr

Deshalb haben sich die Kolleg/innen aus Kassel ins Zeug gelegt und sind mit zwei Bussen direkt zum Frankfurter Römer gefahren. Torsten Fink betont, dass man "gründlich" streiken muss, damit der Verleger spürt, wie ernst man es meint. Seine Devise: keine Vorproduktion, voller Warnstreik rund um die Uhr. Richtig gut tut es ihm, dass ältere Kollegen, die bereits in Rente sind, am Tor erscheinen. Sie bringen Bilder und Berichte mit aus früheren Arbeitskämpfen, als in der Druckindustrie 1984 über 13 Wochen hinweg gestreikt wurde, um die 35-Stunden-Woche zu erkämpfen. Denn auch darum geht es in der diesjährigen Tarifauseinandersetzung: Die Druckarbeitgeber wollen das Rad zurückdrehen zur 40-Stunden-Woche - ohne Lohnausgleich. In Kassel schöpft man tief Luft für einen langen Atem. Von Nordhessen geht es in den Süden nach Mörfelden. Dort hat die Frankfurter Societätsdruckerei (FSD) ihren Sitz. Mit 400 Beschäftigten gehört sie zu den zehn größten Zeitungsdruckereien in Europa. Hier wird neben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) die Frankfurter Neue Presse (FNP) gedruckt. Es ist gelungen, auch die Redakteur/innen aktiv in die Tarifauseinandersetzung einzubeziehen. Denn für diesen Berufsstand planen die Verleger ebenfalls eine Kürzung von Gehältern für Neueingestellte und die Streichung von Urlaubsgeld.

Nur noch Notausgaben

Was früher schier unmöglich schien, ist nun Wirklichkeit geworden. Nahezu alle der rund 85 Redakteur/innen der FNP beteiligten sich an den Warnstreiks. Sie produzierten eine Streikzeitung, die in 30.000er Auflage an die Berufspendler an hessischen Bahnhöfen verteilt wurde. "Haben Sie heute Morgen Ihre Zeitung ins Haus geholt und sie anders vorgefunden, als Sie es gewohnt sind? Der Mantelteil dünner, die Lokalteile gerupft und zusammengewürfelt? Dann hatten Sie eine sogenannte Notausgabe in der Hand." Und weiter: "Es sind vor allem zwei Berufsgruppen, Druckereibeschäftigte und Redakteure, die in den Ausstand treten. Dass sie an einem Strang ziehen, ist keine Selbstverständlichkeit. Betriebsrat und Redakteure gehörten im Hause FSD noch nie zu den heißesten Anwärtern auf den Award für das klassische Liebespaar." Das hat sich nun gründlich geändert. Und das erfüllt beide Seiten mit Stolz, die Redakteure und die Technik. Und Emanuel Korakis, der Betriebsratsvorsitzende der FSD, sieht hierin einen Schlüssel für den Erfolg. Bis Mitte Juni hatten sich bereits rund 330 Redakteure/innen aus Zeitungsverlagen in Darmstadt, Frankfurt, Wetzlar und Wiesbaden an Streiks beteiligt.

Gibt es ein Happy End?

So ist man in Hessen denn auch überzeugt, dass mit dieser Mobilisierung die Angriffe der Arbeitgeber abgewendet werden können. Aber der Druck muss weiter aufrecht erhalten werden. Es wird wohl noch öfter zu lesen sein: "Wegen laufender Tarifauseinandersetzungen kann die Zeitung heute nicht in der gewohnten Form erscheinen."