Rainald Grebe: Zurück zur Natur | Diesmal ist Sachsen dran. Denn Rainald Grebe weiß, was er seinem Publikum schuldet: Seine ironischen Hymnen auf die ostdeutsche Provinz haben den Comedian und Musiker berühmt gemacht, also darf auch auf seinem neuesten Album die Lobpreisung eines der neuen Bundesländer nicht fehlen. Der Song mag schon bekannt sein, aber hier passt er noch einmal perfekt ins Konzept: Denn Sachsen, die selbsternannte Toskana Deutschlands, feiert Grebe als „Land, wo die Datteln wachsen“ und „Gemütlichkeit unter Moskitonetzen“ regiert. Tatsächlich könnte Zurück zur Natur ein Novum der Musikgeschichte sein: Das erste zufällig entstandene Konzeptalbum. Zwar vereint es zuerst einmal nur die Lieder aus den beiden Theaterstücken Grebes, das 2008 im Leipziger Centraltheater aufgeführte „Alle reden vom Wetter – Die Klimarevue“ und „Zurück zur Natur – Konzert für Städtebewohner“, das 2010 im Maxim Gorki Theater in Berlin auf die Bühne kam.

Aber die Songs, obwohl ursprünglich nicht als Einheit geschrieben, funktionieren auch ohne inszenatorische Unterstützung. Die Protagonisten in Grebes Liedern haben genug vom urbanen Kneipensurfen und ihrer „Spiegel-Online-Allergie“, sie wollen etwas anderes: „Natur, das ist eine Flasche Rotwein und ein schönes Panorama“, so haben sie es sich ausgemalt. Also lebt Robert im Zirkuswagen in der Uckermark und „Paul hat sich einen Lehmofen gebaut“. Die Katze kuschelt sich in den Schoß, auf dem Lagerfeuer brutzelt der Riesenbovist und man raucht „das Gras von diesem Jahr“. Blöd allerdings für die neue „Dorfbohème“, dass es „nur da hinten auf der Wiese“ und immer bloß kurze Zeit Handyempfang gibt und sich der schöne Traum vom naturverbundenen Leben schnell als bittere Realität mit von Blattläusen befallenen Tomatenpflanzen entpuppt. Außerdem kommen ständig „diese Dorfdeppen“ vorbei, die immer nur reden wollen „übers Wetter, übers Wetter, übers Wetter, über irgendeinen Scheiß“.

Aber der aus Köln stammende Grebe, der schon seit Jahren einen eigenen Hof im Brandenburgischen sucht, hat nicht nur Häme bereit für seine Leidensgenossen, sondern auch viel Verständnis. Unaufdringlich, aber souverän unterstützt von seiner Kapelle der Versöhnung, wechselt er die Perspektiven und Stimmungslagen, wankt beständig zwischen Faszination und Abscheu, zwischen Melancholie und Ironie. So zeichnet Rainald Grebe wie nebenbei, aber detailreich und einfühlsam ein Bild des modernen Menschen und seiner Sehnsucht nach Ursprünglichkeit. Thomas Winkler CD, Versöhnungsrecords / Broken Silence


Addis Acoustic Project: Tewesta | Musik aus Äthiopien hört man wahrlich nicht alle Tage. Das Addis Acoustic Project klingt ungewohnt, dennoch erschließt sich auch westlichen Ohren der Charme dieser Band ganz unmittelbar. Auf "Tewesta" (Erinnerung) möbelt Gitarrist und Initiator Girum Meumur Hits aus dem Addis Abeba der 1950er- und 60er-Jahre wieder auf. Mit dabei: Veteranen aus dem goldenen Zeitalter äthiopischer Populärmusik. Mit Gitarre, Akkordeon, Mandoline, Klarinette, Kontrabass, Schlagzeug und Percussion erinnert das Projekt in der Tat an die vorelektrische Ära äthiopischer Populärmusik, als Kaiser Haile Selassi diverse Orchester hatte gründen lassen, um das Musikleben seines Landes zu fördern. In der marxistisch orientierten Zeit danach elektrifizierte sich auch die Musikszene in Addis Abeba. Erst jetzt besinnt man sich auf die inzwischen raren Veteranen von einst. Ostafrikanische, orientalisch geprägte Melodiebögen, Latin-Rhythmen und auch mal jazzige Einsprengsel machen Tewesta zu einem anspruchsvollen und zugleich leicht verdaulichen Vergnügen. Buena Vista auf Äthiopisch! rix

World Village / Harmonia Mundi


Katzenjammer: A Kiss Before You Go | Schön zu hören, dass die wundervolle deutsche Wortschöpfung "Katzenjammer" internationale Karriere macht. Noch schöner zu hören, was vier Norwegerinnen unter diesem Namen so treiben: Mal beschallen sie auf ihrem zweiten Album einen Saloon, mal spielen sie den Soundtrack zu einer Zirkusvorstellung, dann treten sie in einem Cabaret der zwanziger Jahre auf. Sie können Schweinerock ebenso gut wie Zigeunermusik, sie verschaffen einem hysterischen Hillbilly-Skiffle ganz selbstverständlich Popsensibilität und versöhnen sentimentale russische Folklore mit der theatralischen Wucht eines zünftigen Heavy Metal. Auf der Bühne wechselt sich das Quartett immer wieder an den Instrumenten ab, im Studio bringen sie ganz konsequent die Stile durcheinander. Dass Marianne Sveen, Turid Jørgensen, Anne Marit Bergheim und Solveig Heilo zudem noch einen unverkrampften Feminismus propagieren, das kann man nicht unbedingt hören, aber beweist endgültig: Katzenjammer können alles und wollen doch noch viel mehr. Bis auf Weiteres haben sie zumindest der Postmoderne schon mal das Tanzen beigebracht. to

CD, Vertigo Berlin / Universal